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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (Teil 3)



Doch wo sind jahrezehntelange Bildungsmaßnahmen von Alt-68er Lehrern und staatlich verordneter Antifaschismus in der ehemaligen DDR geblieben? Sie sind weiter da, dienen aber nur noch als Abgrenzungsmerkmale. Denn diese Bildung war nicht spaßig, ihr Gegenstand höchst unangenehm. Deutschland und mithin die Deutschen hätten eine schreckliche Vergangenheit, den Nationalsozialismus, der Krieg und Tod über die Menschen brachte, hieß es da. Dies dürfe man nicht vergessen und müsse Lehren für die Gegenwart daraus ziehen.

Selbst die Bildungselite an den Hochschulen feiert nun mit. Selbst diejenigen, die ein Ticket dafür haben, institutionell gestützt hinter die Dinge zu schauen, äußerten sich zu Scharen begeistert darüber, wie entkrampft nun alles sei. Wie toll, endlich etwas tun zu können, was man jahrelang nicht gedurft habe.

Daraus ergeben sich eine ganze Menge Fragen, zwei davon lauten: Was hat sie vorher gehindert und warum hat sich dies nun verändert? Da steht nun ein Großteil der jungen Generation auf und sagt laut und deutlich: »Nein, mit der Geschichte dieses Landes, mit dem Nationalsozialismus, mit den Millionen Toten, haben wir nichts zu tun« und fügt dem hinzu: »Wir wollen endlich feiern«. Das ist wahre Emanzipation, leider in die völlig falsche Richtung.

So wurde die Ehrung der deutschen Nationalmannschaft am Sonntag in Berlin, an der über eine halbe Million Menschen teilnahmen, zu einem Pop-Event: Populärer geht es kaum, was nebenbei bemerkt auch der schlaue Klinsmann bemerkt hat und abdankte. Die Jugend hat schwarz-rot-gold entdeckt und findet diese Farbkombination unheimlich sexy. Das stellt sogar die in die Jahre gekommene Love-Parade in den Schatten. Ziemlich sicher ist, dass bei der Parade, die am kommenden Wochenende ebenfalls in Berlin eine Neuauflage erleben wird, schwarz-rot-gold zu sehen sein wird.


Aus Spaß wird Ernst

Viele Grausamkeiten beginnen mit einer Feier. Was zunächst wie eine Befreiung, wie ein riesiger kollektiver Spaß wirkt, kann schnell ins Gegenteil umschlagen. Denn es wird vor allem die Regierung sein, die ziemlich schnell versuchen wird, den Patriotismus für ihre Zwecke zu nutzen. Schließlich stehen weitere Sozialkürzungen und Auslandseinsätze vor der Tür. Die werden für das liebe Volk sicher leichter zu ertragen sein, wenn ein nationales Wir-Gefühl existiert.

Patriotismus ist Vaterlandsliebe. Mütter kommen nicht vor, auch wenn viele Frauen mitgefeiert haben. Und auch wenn sich das große Gefühl in diesem Fall weniger auf Deutschland denn mehr auf die Klinsmänner und vor allem auf sich selbst bezog, bleibt unterm Strich doch ein kollektives Bekenntnis zu diesem Land. Dabei zieht auch das Argument, alles sei so friedlich verlaufen, nicht: Denn die WM-Besucher aus aller Welt waren Gäste, sie wollten nicht dauerhaft in die Festung Europa eindringen. Patriotismus ist weder »gesund« noch irgendwie fortschrittlich, auch wenn die Verpackung in den vergangenen Wochen bunt und attraktiv war. Dem Kaiser und der korrupten Fifa sei dank. Und auch die Tatsache, das Bewohner anderer Länder so schön patriotisch sind, gilt nicht: Man muss nicht jeden Blödsinn mitmachen.

Bleibt zu hoffen, dass die Fahnen sich nach und nach bei Tempo 140 auf der Autobahn zerlegen werden. Allein, es fehlt der Glaube. Denn, so die Befürchtung, dieser fröhliche Patriotismus, dessen Aufkommen eindeutig eine Niederlage einer aufgeklärten Gesellschaft ist, ist anschlussfähig. Und das verheißt nun wirklich nichts Gutes.






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