Webwecker Bielefeld: fussballwm

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (12.07.2006)





Kehraus: Nach dem Achtelfinalspiel Deutschland - Schweden war es auf dem Jahnplatz alles andere als gemütlich



Die Fußball-WM ist vorbei und Jürgen Klinsmann packt seine Koffer. Doch noch fahren trotzig Personenkraftwagen mit der Deutschlandfahne umher, ja selbst der riesige Laster, der die gelben Säcke einsammelt, hat im Innenraum seines Mauls an der Klappe, die die gelben Säcke zusammenpresst, immer noch eine große Deutschlandfahne. Die allerdings ist wegen der Pampe, die aus den gelben Säcken quillt, schon einigermaßen beschmutzt.

Bedenkenträger sind in diesen Zeiten so out wie Birkenstock und Wollsocken mitten im Hochsommer. Doch Fußballfans müssen nicht patriotisch sein. Eine Binsenweisheit, die bis vor kurzem keiner weiteren Erklärung bedurft hätte. Mario A. Sarcletti und Manfred Horn, Redakteure des WebWeckers, setzten sich in ihren Einwürfen mit der Fußball-WM und den politischen Folgen auseinander. Hinzu gesellt sich ein Beitrag von Jochen Dreier, Ausbildungsleiter des Uniradios Hertz 87,9, der sich als Fan gerade dieser Nationalmannschaft outet: Er sieht in ihrer Zusammensetzung aus unterschiedlichen Kulturen und sozialen Schichten ein positives Zeichen mit gesellschaftlicher Wirkkraft.




Aus, aus – die WM ist aus …


Und das ist gut so! Denn der National-Hype ging Mario A. Sarcletti schwer ans Fußballfangemüt

Jetzt ist es also vorbei, das große Spektakel WM im »eigenen« Land. Und das ist gut so, sage ich als Fan des Balltretens. Denn das Deutschlandfahnengeschwenke, »tschland, tschland«-Gegröle und der schwarzrotgüldne Lappen an vielen Autos verursachte mir fast schon körperliche Schmerzen. Wer jetzt sagt: »Das ist doch nur ein Spiel«, verkennt die Realität in diesem Land.


Politik bemächtigte sich des Sports

Ja es wäre schön, wenn es bei der Fußball-Weltmeisterschaft nur um den Sport gegangen wäre. Aber wie schon bei anderen Turnieren bemächtigte sich die Politik des Sports. Nicht nur, dass die Bundesregierung die WM-Euphorie nutzte um alle möglichen Schweinereien zu beschließen. Nein, die Nation und das »neue, unverkrampfte« Verhältnis der Bevölkerung – nein, des Volks – zu ihr, war die Herzensangelegenheit von Politik und Medien. Als ob das Verhältnis sooo verkrampft gewesen wäre. Die Fußball-WM als Fortsetzung des »Du-bist-Deutschland«-Terrors.

Es ist natürlich nicht neu, dass die elf Jungs auf dem Rasen das Volk auf die Nation einschwören müssen. 1954, neun Jahre nach dem sich das Verhältnis der Deutschen zur Nation ein bisschen verkrampft hatte, sorgte das mystifizierte »Wunder« von Bern für deutsches Selbstbewusstsein. Flugs sang man im Land wieder »Deutschland, Deutschland über alles«. Dass DFB-Präsident Peco Bauwens – NSDAP-Mitglied der ersten Stunde – das »Wunder« recht unverkrampft auf Wotan und das »Führerprinzip in der Nationalmannschaft« zurückführte, passt ins Bild. Dass ausgerechnet jetzt, wo sich Deutschlands Verhältnis zur Nation auch in der Kultur »normalisiert« – siehe die Band Mia, die »neues deutsches Land« betritt – ein Film über dieses Wunder von Bern ein Blockbuster ist, passt auch. Schließlich geht es in dem – wie Diedrich Diedrichsen in der ›Zeit‹ hervorragend ausführte – weniger um Fußball, als vielmehr um den Vater, der gebrochen aus russischer Gefangenschaft zurückkehrt.

Auch 1990, nachdem Deutschland wieder groß geworden war, war der WM-Sieg ausgesprochen wichtig für die Nation. Dass die in den folgenden Jahren für alle, die für manche nicht zu ihr gehörten, nunja, recht gefährlich werden sollte, zeigte sich bereits am Abend des Finales. Auch in Bielefeld gab es Ausschreitungen, in Hamburg wurden die besetzten Häuser in der Hafenstraße vom Mob attackiert, in Köln ein junger Türke fast gelyncht.