Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (Teil 3)
Die »Patriotismuswelle«, die dieses Land erfasst hat, kann durchaus auch positive Wirkungen zeigen, wenn sich die Menschen mit einem Land identifizieren können, dass die Mischung von verschiedensten Kulturen begrüßt und positive Einflüsse und Entwicklungen daraus zieht.
Die Diskussion ist allerdings in Deutschland mehr als wichtig, zeigt sie doch wie kontrovers die Meinungen zum diesem Thema noch sind und auch wie leicht es ist, das wirklich jeder wieder eine Deutschlandfahne schwenkt. Und vielleicht ist dann auch das Ergebnis der geführten Debatten, dass nicht leichtsinnig mit nationalen Symbolen umgegangen wird, sondern das wirklich jeder gemeine Fußballfan sich bewusst ist, wie sehr doch Politik, nationale Gedanken und ein immer mehr marktwirtschaftlich geprägter Sport zusammenhängen.
Mannschaft als positives ZeichenAbschließend muss ich mich dann doch noch mal als Fan der deutschen Mannschaft outen. Dass die meisten Spieler in meinem Alter sind, ließ mich noch ein Stück mehr mitfiebern. Sie haben vielleicht die gleiche Musik gehört, vielleicht die gleichen Filme zur gleichen Zeit gesehen und sind vor allem ebenso wie ich, in den letzten 20-25 Jahren in Deutschland aufgewachsen. Die schon oben angesprochene Zusammensetzung der Mannschaft aus verschiedenen Kulturen, Hautfarben und sozialen Schichten, lässt mich dann doch hoffen, dass der unbestritten immer politischere Sport ausnahmsweise ein positives Zeichen setzen kann.
Brutaliät inklusive: Jahnplatz nach dem Achtelfinalspiel Deutschland - Schweden am 24. Juni
Deutschland, ein Sommermärchen?
Der neue deutsche Patriotismus ist anschlussfähig. Das bedeutet nichts Gutes, findet Manfred Horn
Die vergangenen vier Wochen verliefen ungewohnt: Gut die Hälfte der Menschen in diesem Lande interessierte sich auf einmal für Fußball. Beim neudeutschen Public Viewing auf Plätzen und vor Kneipen merkte man das auch daran, dass dem Nachbarn so manche Regel erklärt werden musste.
Nun ist die Fußball WM vorbei. Die Spiele waren im Schnitt eher mäßig. Fußballerisch lautet die Lehre: Stehe hinten sicher, vorne werden es wahlweise der ein Stürmer und der Fußballgott richten. Wenig spannend also.
Aber das Spektakel, der Hype um die WM hatte auch gar nicht viel mit dem Fußballspielen an sich zu tun. Das Gekicke diente nur als Referenzpunkt für eine inidividuelle und kollektive Selbstinszenierung. Dessen erschreckenstes Ergebnis ist ein neuer deutscher Patriotismus, dessen Fortgang ungewiss ist.
Viele sprechen nun von einem neuen Gefühl. Endlich durfte befreit gejubelt und noch viel wichtiger fahnengeschwenkt werden. Die Deutschlandfahne wurde mal fröhlich, mal betrunken geschwenkt. Selbst die Verwertungsmaschinerie war überrascht: Vor der WM haben die Produzenten von Winkelementen nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet. Das Sortiment vervollständigte sich erst während der WM, unter anderem in Form von hübschen papiernen Hullaketten, die aus Deutschen auf einmal Südseebewohner machten.
Für die Kulturindustrie handelt es sich um eine ausbaufähige Mode. Ein neuer Markt ist da binnen vier Wochen entstanden und damit ein Muster, das sich bei nächster passender Gelegenheit, wahrscheinlich der Fußball-Europameisterschaft 2008, erneut bedienen lässt. Viele Nutzer hingegen gingen bewußt naiv an die Sache. Sie wollten einfach dabei sein. In dem Mischmasch aus Selbstbegeisterung, Naivität und Kommerz entstand ein Moment der gefühlten Befreiung: Seht her, wir können auch anders, auch Deutschland ist Brasilien.