Webwecker Bielefeld: eigentore

Die Eigentore der Beherrschten (12.07.2007)



Zur Fußball-Weltmeisterschaft »im eigenen Land« rückte der Sport auch in den Blickpunkt der Linken. Viel wird in linken Publikationen zum Thema geschrieben, in der Szene wird viel über den Umgang mit dem Großereignis WM diskutiert.

Anlass, eine in Vergessenheit geratene Diskussion aus den frühen 1970ern ins Gedächtnis zurückzurufen. Anlässlich der Olympischen Spiele in München beschäftigten sich an Hand der Kritischen Theorie Adornos, aber auch des jungen Habermas orientierte Theoretiker wie Ulrike Prokop, Gerhard Vinnai und Bero Rigauer mit der Frage, welche Funktion der Sport in kapitalistischen Gesellschaften einnimmt. Der WebWecker sprach mit Sebastian Lutz von der linken Frankfurter Gruppe Sinistra. Er war von der Antfa-AG der Uni Bielefeld zu einer Veranstaltung eingeladen, die leider ausfallen musste.


Interview: Mario A. Sarcletti

WebWecker: Was ist der Kern der Kritischen Theorie?

Sebastian Lutz: Prinzipiell geht es um eine Abgrenzung von der positivistischen Theorie, die sich nur einzelne Sachverhalte anschaut. Die Kritische Theorie begreift die Gesellschaft als gewordene und veränderbare, wobei die Veränderung durchaus erwünscht ist.


Wie kann die Kritische Theorie auf den Sport angewendet werden?

Drei Protagonisten waren für die Entwicklung der Kritischen Sporttheorie wichtig: Ulrike Prokop, Gerhard Vinnai und Bero Rigauer. Bezogen haben Sie sich vor allem auf ideologietheoretische Arbeiten vor allem Adornos, aber auch vom jungen Habermas. In ihren Arbeiten haben sie gezeigt, dass Sport nicht isoliert betrachtet werden kann von anderen gesellschaftlichen Zwängen. Bero Rigauers Buch heißt ›Sport und Arbeit‹. In dem zeigt er, dass der Sport auch eine Verlängerung des Arbeitslebens in die Freizeit hinein bedeutet. Im Leistungs-, aber auch im Breitensport, werde nach den gleichen Prinzipien gehandelt wie in der Arbeitswelt.


Welche Prinzipien greifen da?

Vor allem Leistungsoriniertierung. Der Sport wird nicht des Sportes willen betrieben sondern für etwas. Man geht ins Fitnessstudio um fit zu. Dies bedeutet auch, am Arbeitsplatz mehr Leistung zu bringen. Beim Sport wird nach Anweisung eines Trainers gearbeitet, der Chef ist. Man kann während eines Fußball-Spiels nicht hinlaufen, wo man will. Dies war auch wieder sehr gut bei der Fußball-WM zu beobachten, wo die Teams taktischer Disziplinierung unterworfen waren.


Was für eine Funktion hatte die Fußball-WM?

Gerhard Vinnai sagt, Sport sei eine Ersatzbefriedigung, sowohl das Sporttreiben wie auch das Zuschauen. Es lenke ab von anderen Problemen. Die Leute sind zufriedener und machen sich weniger Gedanken über andere Dinge. Wenn man sieht, was in der Politik zeitgleich zur WM an Steuererhöhungen diskutiert wurde, wäre der Aufschrei zu Nicht-WM-Zeiten wahrscheinlich größer gewesen.


Ist Sporttreiben und Sportgucken systemerhaltend?

Es kann systemerhaltend sein. Ich würde sogar sagen: In den meisten Fällen ist es auch so. An dem Punkt habe ich allerdings eine deutliche Kritik an der kritischen Sporttheorie. Die sagt, weil Sport systemerhaltend ist, müsse man vom Sport weg hin zu einem freien Spiel. Mit dem dialektischen Denken Adornos aber liegt im Sport auch die Möglichkeit für Anderes. Albert Camus hat beispielsweise einmal gesagt, alles was er von Solidarität wisse, habe er vom Fußball. Man kann im Sport sehr wohl den fairen Umgang miteinander erlernen. Man kann Rücksichtnahme auf Schwächere erlernen. So kann man beim Fußballspielen im Park auch dem Schwächeren den Ball geben. Ich verdamme den Sport nicht grundsätzlich. Man sollte wissen, was man da tut. Man sollte sich fragen, muss das so sein oder wäre es vernünftiger, es anders zu tun.


Hast Du WM-Spiele geguckt?

Aber hallo. Ich habe schon einige gesehen, wenn ich die Zeit dazu hatte.


Und auch Spaß dabei gehabt?

Das auch.