Webwecker Bielefeld: beune

Andreas Beune: »Did Not Finish« (Januar, 2006)



Titel: Andreas Beune: »Did Not Finish«

Gehören Sie auch zu denjenigen, die bei bestem Freibadwetter im abgedunkelten Schlafzimmer vor dem Fernseher liegen, um sich mitten im Juli Nachmittag für Nachmittag die Tour de France reinzuziehen? Seit dem Aufstieg Jan Ullrichs ist Radsport ein absoluter Medienrenner, seit 1998 übertragen ARD und ZDF live.

Mit dem Erfolg deutscher Fahrer oder eines Teams wie Telekom steht und fällt die Aufmerksamkeit. Eine kurzzeitige Delle bekam das Interesse, als Jan Ullrich 2001 positiv auf Doping getestet wurde. Er erklärte dies mit einer Ecstasy-Pille von einem unbekannten Bekannten in einer Diskothek.

Hagen Boßdorf, Tour de France Kommentator der ARD und auch sonst schon mal auf private Rechnung für Team Telekom tätig wurde neulich auf Grund von Stasi-Verdächtigungen nicht zum NDR-Sportchef gewählt. Er erklärte nach dem positiven Befund Ullrichs: »Sagt die Telekom, es gibt keinen Dopingfall, dann gibt es auch keinen Dopingfall für die ARD«. Andreas Beune ist kein solch unterwürfiger Hofberichterstatter. Der Autor des Buches »Did not finish« ist zwar auch radsportbegeistert, er lässt sich aber kein X für ein U machen – zwei Buchstabenformen, die augenscheinlich wenig miteinander zu tun haben.

Sein Buch ist durch ein durch ein Werk, dass einlöst, was Boßdorf wohl nur noch vom Hören und Sagen kennt: Kritischem Sportjournalismus. Beunes Buch ist durchzogen von der Begeisterung für den Radsport einerseits, andererseits findet sich in ihm auch eine Spur, die normalerweise im verborgenen liegt: Die der Sucht.

Beune zieht das Buch an Hand von gescheiterten Radprofis auf. 20 von ihnen, unter ihnen bekanntere wie Marco Pantani und Jose Maria Jiminez, aber auch nur eingefleischten Fans bekannte wie Saul Morales oder Fabrice Salanson, ist er nachgegangen: Alle eint, dass sie nicht mehr leben. Einige sind tragisch gestürzt, andere starben noch während ihrer Karriere oder in ungewöhnlich jungem Alter. Die Beschreibungen legen nahe: Alle sind direkt oder indirekt an den Folgen des intensiven Radsports gestorben.

Beune hat die Biographien nachgezeichnet und ist auf erstaunliche Parallelen gestoßen. So sind auffällig viele Radprofis an plötzlichem Herzversagen gestorben. »Eingeschlafene« nannte man sie Ende der 1980er Jahre, zu einer Zeit, als Doping mittels EPO, Hormonpräparaten und Testosteron verbreitet war – und EPO vielleicht noch nicht so gut dosiert werden konnte wie heute. EPO steht zumindest im Verdacht, schwere Herzprobleme verursachen zu können.

Und da gibt es die Radsportler, die mit ihrem Karriereende nicht klar gekommen sind. Pantani, der des Dopings überführt wurde, kam danach nie wieder auf die Beine, Il Pirata versuchte ein Comeback, geriet aber zunehmend in Depressionen und nahm große Mengen Medikamente und Kokain.

Den 20 Portraits von Radprofis, die nicht ins Ziel gekommen sind, stellt Andreas Beune sieben Thesen zur Grenzwelt Radsport voraus. Radsport sei Literatur, heißt es da, ein Kampf zwischen Idealismus und Realismus. Die Etappen bildeten in der Tour de France einen Romanepos, zitiert Beune den Semiologen Roland Barthes, der bereits 1957 einen damals viel beachteten Essay über die Tour de France schrieb. Der Radsport sei eine Mythenmaschine, die in hoher Frequenz Heldengeschichten produziere, fügt Beune hinzu.