Bei dem Fachgespräch im November kritisierte Reiner Lindemann vom Amtsgericht Moers, in dessen Zuständigkeit das im Januar geschlossene zweite Abschiebegefängnis in NRW lag, denn auch seine Richterkollegen: »Ich bin auch auf Akteninhalte gestoßen, die mir von der Art der Gesetzesbeachtung und behandlung sehr fremd vorkamen«, formulierte er diplomatisch. »Ich habe schon oft überlegt, über die vielen mir begegneten Auswüchse Aufzeichnungen zu fertigen und in einer Broschüre oder ähnlichem festzuhalten. Es käme eine Menge zusammen«, fügte er hinzu.
»Richter wussten nicht viel von Gesetzesmaterie«Vor allem in den Anfangsjahren seiner Tätigkeit Lindemann ist seit 1993 für Abschiebungshaft zuständig sei »der Eindruck sehr stark vorhanden« gewesen, »dass in Abschiebungshaftsachen Richter eingesetzt waren, die von der anzuwendenden Gesetzesmaterie nicht viel wussten und, weil es sich im Rahmen der Geschäftsverteilung offenbar oft um oktroyierte Geschäfte quasi so nebenbei handelte, auch keine Anreize verspürten, sich zu bilden oder fortzubilden«, stellte Lindemann seiner Zunft ein schlechtes Zeugnis aus. Als Konsequenz aus dem Dienstgespräch wurde den Richtern eine Fortbildung verordnet. »Die erste seit zehn Jahren«, kritisiert Frank Gockel.
Vielleicht ist so auch der Umgang mit Haftverlängerungsanträgen möglicherweise auf Unkenntnis der gesetzlichen Regelungen zurückzuführen. »Der Haftverlängerungsantrag ist dem Ausländer so rechtzeitig mitzuteilen, dass er sich auf den Anhörungstermin vorbereiten kann«, heißt es in den Richtlinien. »Ich habe in diesem Jahr noch keinen Gefangenen kennen gelernt, bei dem dieses eingehalten wurde«, beschrieb Frank Gockel bei dem Fachgespräch 2004 seine Erfahrungen. Als Beweis präsentierte er ein Dokument, in dem ein Häftling über seine Anhörung am 27. August informiert wurde. Ausgehändigt wurde ihm das Schreiben am 2. September.
Das Innenministerium nimmt es nach Angaben seiner Sprecherin Dagmar Pelzer gelassen, dass das Protokoll der Dienstbesprechung jetzt im Internet steht. »Auch wenn es unschön ist, wenn Protokolle aus internen Besprechungen gezielt an die Öffentlichkeit getragen werden«, fügt sie hinzu. Das Dienstgespräch sei auch nicht aufgrund der im November erhobenen Vorwürfe anberaumt worden, es gebe solche Gespräche mehrmals im Jahr. »Es gibt immer wieder Gesprächsbedarf«, sagt Pelzer. Handlungsbedarf sieht sie keinen, die üblichen Stichproben der Bezirksregierungen würden ausreichen um die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten.
Dass das Ministerium trotz der Vorwürfe keinen Anlass für Konsequenzen sieht, verwundert nicht. »Wir haben den Eindruck, dass es sich um Einzelfälle handelt, bei denen auch nicht gegen das Recht verstoßen wurde, vielmehr traten da Fragen auf«, erklärt Dagmar Pelzer. Frank Gockel sieht das anders. »Ich bin mir sicher, dass ich bei achtzig bis neunzig Prozent der Haftverlängerungsanträge Formfehler finde«, widerspricht er energisch der Einzelfallthese. Er nennt es einen Skandal, dass sich die Ausländerbehörden »systematisch« nicht an die Richtlinien gehalten hätten und »regelmäßig gegen die gesetzlichen Vorgaben und gegen die geltende Rechtsprechung verstoßen« worden sei.
Alle zitierten Dokumente sind unter www.gegenabschiebehaft.de einzusehen.