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Im Dickicht selbstlernender Gesetze (23.02.2005)





Karl Ehlert: Viel Verzweiflung, wenig Spielraum



Karl Ehlert arbeitet seit 1990 im Arbeitslosenzentrum der GAB (Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung) in der Werner-Bock-Straße, vis a vis zur Agentur für Arbeit. Das unabhängige Arbeitslosenzentrum muss immer wieder mit Finanzierungsproblemen kämpfen. Der Sozialarbeiter betreute zunächst Langzeitarbeitslose. Heute berät er auch Empfänger des Arbeitslosengeldes II (Alg-II).



Interview: Manfred Horn

WebWecker: Wie ist die Stimmung bei den Hilfe-Empfängern im Vergleich zum Vorjahr?

Karl Ehlert: Vorher hatte ich mit dem Sozialamt wenig zu tun, eigentlich nur mit Arbeitslosenhilfe- und Arbeitslosengeldfällen. Auch da war die Situation eine angespannte. In den Jahren zuvor gab es bereits eine Vielzahl von Kürzungen. Doch jetzt geht es an die Substanz. Von dem Geld kann man schlicht nicht leben. Es ist sogar noch weniger als Sozialhilfe, weil es nun die einmaligen Beihilfen nicht mehr gibt. Die machten bis zu 1.500 Euro im Jahr aus. Nun soll das alles von den 50 Euro im Monat, die zumindest Alleinstehende mehr erhalten, bezahlt werden.


Wozu eine unabhängige Beratungsstelle?

Es kommen viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Motivationen. Alle möchten aber eine neutrale Beratung, einen Ort, sie keine Angst haben müssen, was sie sagen. Die Leute haben kein Vertrauen zur Behörde. Viele sind verzweifelt, einige glauben sogar, ohne unabhängige Beratungsstellen ginge die Selbstmordrate nach oben. Eben weil dann niemand mehr wüsste, wo er hingehen kann. Verständlich, sieht man doch, wie die Politik immer mehr die Rechte von Arbeitslosen beschneidet. Gleichzeitig sind die Arbeitslosenzahlen immer weiter gestiegen. Es gibt keinen effektiven Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, sondern immer mehr gegen die Arbeitslosen. Dies ist ein wichtiger Bestandteil dieser Gesellschaft: Die Arbeitslosen schrecken diejenigen, die noch Arbeit haben, ab, dahin zu kommen, wo jetzt die Arbeitslosen sind. So können die, die noch Arbeit haben, diszipliniert werden, sie arbeiten für weniger Geld, nehmen Kürzungen in Kauf oder auch den Abbau des Kündigungsschutzes.


Was kann die Beratungsstelle überhaupt tun?

Die Sachbearbeiter in den Außenbezirken kürzen den Betroffenen auch noch das Letzte, und das ohne stichhaltige Begründung. Wir beraten, damit die Alg-II-Empfänger das bisschen, was ihnen zusteht, überhaupt noch kriegen. Die Beratungen werden substantiell weniger, weil es immer weniger Möglichkeiten gibt, Konflikte zu lösen. Es gibt kaum noch Handlungsspielraum.

Ein Beispiel: Jemand wurde aufgefordert, dass er bis zum 14. Februar Zeit hat, eine Einkommensbescheinigung beizubringen. In einem zweiten Brief vom selben Tag wurde ihm eine sofortige Aufhebung der Leistung mitgeteilt. Ich fragte nach dem Warum. Die Antwort des Sachbearbeiters: ›Wenn wir nicht wissen, was jemand verdient, dann könnte es zu einer Überzahlung kommen‹. Dann wird die Leistung einfach gestrichen. Ich habe dann weiter gefragt: ›Aber warum geben sie der Person dann zwei Wochen Zeit, eine Bescheinigung beizubringen. Warum schreiben Sie nicht gleich: Solange wir keine Bescheinigung haben, kriegen Sie kein Geld?‹


Die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen geht davon aus, dass viele ALG II Bescheide zu niedrig angesetzt sind, die Bundesregierung behauptet das Gegenteil: Viele seien zu hoch bewilligt, weil sie noch nicht geprüft werden konnten. Was ist ihr Eindruck?

Ich muss einschränkend sagen, dass ich hier fast nur falsche Bescheide sehe. Die, die einen richtigen Bescheid haben, kommen selten in die Beratung. Ich habe noch keinen Bescheid gesehen, der zu hoch ausgefallen wäre.