Webwecker Bielefeld: Die Kunst Mensch zu sein

Alexandre Jollien: Die Kunst, ein Mensch zu sein



Titel: »Die Kunst Mensch zu sein«


Von Manfred Horn

Alexandre Jollien hält es mit Nitzsche: Die menschliche Existenz ist ein Kampf. »Meine ersten Lebensjahre habe ich damit verbracht, das Tier zu bezwingen, meinen störrischen Körper in den Griff zu bekommen«. Jollien ist körperbehindert. Genau dieser schwierige Umstand hat ihn aber dazu geführt, kampfestauglich zu werden. Und genau von dieser Kampfeslust ist sein biographisch-philosphischer Erfahrungsbericht, den er mit dem Buch ›Die Kunst Mensch zu sein‹ vorlegt, bis zur letzten Seite geprägt.

Jollien musste lernen, seinen Körper zu beherrschen, musste neue Techniken entwickeln, um zu gehen und zu schreiben. In seiner Jugend erscheint im der Kampf oft sinnlos, scheint das Leiden zu siegen. Was heute dem fast 30-Jährigen Kraft gibt, ist die Philosophie, die Köstlichkeit der geistigen Dinge, wie er schreibt. Eingeführt in diese eigene Welt hat ihn der Geistliche des Heimes, in dem er viele Jahre verbrachte. Über die Entwicklung des Geistes wollte Jollien einen neuen Blick auf die Wirklichkeit, auf seine Wirklichkeit als in »Beeinträchtigungen Gefangener« gewinnen. Der Kampf, den er ursprünglich gegen die körperlichen Funktionsstörungen führte, setzt er nun parallel auf den Pfaden des Denkens fort.

All dies beschreibt Jollien sehr persönlich, ohne sich dabei in allzu viele szenische Details seines Lebens zu begeben. Jollien ist über sich hinausgewachsen, und zwar mittels der geistigen Dimension. Er hat den Kampf angenommen und betont - wieder nah an Nietzsche - die Bedeutung des Willens. Philosophisch bietet das Buch keine neuen Gedanken. Jolliens Stärke aber ist es, sein behindertes Leben auf seine Philosophie zu beziehen und diese zu vermitteln.

Jollien geht auch von seiner Person weg, abstrahiert und verallgemeinert seine Erfahrungen. Er schreibt von der Leichtigkeit als subtiles Heilmittel gegen die Hoffnungslosigkeit, vom »Gemüse«, das sich aufmacht, Mensch zu sein. Er erwähnt am Rande, welch großer Anstrengung es bedurfte, dieses Buch zu schreiben.

Wer eine rührselige Geschichte über den Lebensweg eines Behinderten sucht, wird von Jolliens Buch enttäuscht sein, auch wenn er hier und da zu pathetischen Formulierungen neigt. Ingesamt aber ist sein Buch eher eine Gebrauchsanweisung für das Leben, die auch für Nicht-Behinderte taugt. Denn jenseits aller gesellschaftlichen Zuschreibung ist behindert sein auch ein subjektives Empfinden, in der Summe sind viel mehr Menschen behindert als gemeinhin angenommen.

Jollien Buch macht denjenigen Mut, die sich Mut machen lassen wollen. Es kommt teilweise wie ein Manifest daher, so überzeugt ist Jollien von dem was er denkt. Vielfältigkeit ist aber Jolliens Sache nicht: Er konzentriert sich auf das für ihn Wesentliche und so hat er auch sein Buch geschrieben: Als varierenden, teilweise rekursiven Diskurs über den Körper, das Leiden, den Kampf und das Menschsein.



Das Buch ›Die Kunst Mensch zu sein« ist im Schweizer Pendo-Verlag erschienen. ISBN 3-85842-564-8. Dort ist von Alexandre Jollien auch das Buch ›Lob der Schwachheit‹ erhältlich

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