von Andreas Beune Glaubt man einem Buchtitel des spanischen Schriftstellers Eduardo Mendoza ist Barcelona nichts weniger als die »Stadt der Wunder«. Als Tourist und Bielefelder ist man geneigt, ihm zuzustimmen. Barcelona ist wunderlich. Verrückt und chaotisch. Provinziell und katalanisch. Eine magische Schönheit, die schon Picasso zum Absinth greifen ließ. Bielefeld ist weniger wunderlich. Berechenbar und überschaubar. Oberzentrum und ostwestfälisch. Eine seltsame Urbanität, die Max Goldt zum Begriff des »Lokalmasochismus« greifen ließ.
Barcelona geizt nicht mit Vorteilhaftem. Die Stadt verfügt über einen direkten Anschluss ans Mittelmeer und an die Pyrenäen, man läuft auf bepalmten Ramblas, traut sich nicht ins Rotlichtviertel und besucht Markthallen mit Flair und Fisch.
Barcelonas Nachteil ist folgender: Die Stadt ist die selbsternannte Hauptstadt Kataloniens und benimmt sich auch so. Die Einheimischen kommunizieren mit einer eigenen Sprache, die die grammatikalischen Ungereimtheiten des Kastilischen mit den Zungenbrechern des Französischen vermengt, was um so schwerwiegender wiegt, weil sich die Barcelonesen standhaft weigern, Spanisch zu sprechen, obwohl es jeder perfekt beherrscht. Das führt soweit, dass in Madrid katalanisch-sprachige Stadtführungen angeboten werden. Nur für den Fall, dass Katalanen mal in die Hauptstadt einfallen.
Kein Wunder, dass Katalanen im restlichen Spanien nicht gerade beliebt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sie als fleißig, pedantisch und gewissenhaft gelten. Eigentlich, so raunt man sich es zu in Sevilla, Vigo und Salamanca, sind die Katalanen nichts weiteres als gewöhnliche Deutsche. Die gewöhnlichen Deutschen, die es nach Barcelona verschlägt, sind entweder Touristen oder Austauschstudenten. Fleißig und gewissenhaft besuchen sie die örtlichen Hochschulen, während ihre englischen Kommilitonen damit beschäftigt sind, die Umgebung auszukundschaften, um herauszufinden, wo und wann man am besten billiges Haschisch kaufen kann.
Früher war das mal anders. Da kamen Briten und Deutsche nach Katalonien, um im Spanischen Bürgerkrieg für die Seite der Republik gegen General Franco zu kämpfen. Sogar der junge George Orwell kam vorbei und schwärmte vom revolutionären Paradies auf Erden. Darauf sind die Katalanen heute noch stolz. Was sie gerne verschweigen ist, dass Orwell rasch desillusioniert war von den Zuständen in Barcelona, hatte er doch das unschöne Vergnügen mitanzusehen, wie sich Anarchisten und Kommunisten gegenseitig über den Haufen schossen.
Anarchisten und Kommunisten trifft man heute nur noch selten auf Barcelonas Straßen, dafür aber in den zahlreichen Bars und Kneipen, wo sie allnächtlich bei Bier und leckeren Fleischklöppschen die Revolution durchspielen. Alle zehn Jahre können sie das auch am Tage, dann nämlich, wenn es in Barcelona schneit und die Stadt einfacherhalber vorrübergehend geschlossen wird, weil es keine Schneeräumfahrzeuge gibt.
Was ist schon Bielefeld dagegen? Über die Stadt wurde in all den Jahren ein Buch geschrieben. Das ist dafür aber 1000 Seiten dick, heißt »Stadtbuch Bielefeld« und wer es im Regal stehen hat, wundert sich beim bloßen Anblick darüber, wie Menschen einmal auf die Idee kamen, ein so dickes Buch über diese Stadt zu schreiben, die selbst die Bielefelder nicht interessiert.