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Hannes Heer, »Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei.«



Titel: Hannes Heer, Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei.

„Ein Bann scheint gebrochen: Alle reden von der gezielten Auslöschung der deutschen Städte durch die angloamerikanischen Truppen und erregen sich über die unermesslichen Leiden der Vertriebenen(...). Die Deutschen, die gerade begonnen hatten zu begreifen, dass mit den Begriffen Auschwitz oder Treblinka das Ausmaß der Schuld nur unzureichend beschreiben war, dass man in Zukunft die Torturen der Zwangsarbeiter und die Verfolgung der Juden in der Heimat, die Mordtaten der Polizeibataillone und die Verbrechen der Wehrmacht in den besetzten Gebieten dazuaddieren muss, verwandeln sich mit einem Mal in ein Volk von Opfern“. Ob die Deutschen tatsächlich begonnen haben zu begreifen, mag bezweifelt werden, offensichtlich ist aber das Bedürfnis nach Umdeutung und Verdrängung der eigenen Täter-Geschichte wieder immens. Als ursächlich sieht Hannes Heer, der Leiter der ersten Wehrmachtsausstellung, Daniel Goldhagens Aussagen über die willigen Vollstrecker, die veröffentlichten Erfahrungen Victor Klemperers mit dem deutschen Antisemitismus, die detailliert in seinen Tagebüchern festgehalten sind und die Konfrontation der Öffentlichkeit mit der ersten Wehrmachtsausstellung, die via Fotos schockartig mit der Legende der sauberen Wehrmacht aufräumte. Nach massiven öffentlichen Vorwürfen auch aus Historikerkreisen, erinnert sei an Bogdan Musial, viele der ausgestellten Fotos seien historisch falsch zugeordnet, wurde die erste Ausstellung, zurückgezogen, derer Leiter entlassen. Der Leiter des Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, wartete das Ergebnis einer Überprüfungskommision nicht ab, sondern gab grundlos der Kritik der Gegner nach, so Hannes Heer: Eine entschärfte Version wurde im November 2001 in Berlin eröffnet. Das alles ist den interessierten LeserInnen sicherlich schon längst bekannt, dennoch ist Hannes Heers Abrechnung mit der zweiten Wehrmachtsausstellung nicht uninteressant. Zum einen schildert er im gesellschaftspolitischen Zusammenhang die Ereignisse, die zur Absetzung der ersten Ausstellung führten und vergleicht detailliert und kritisch die unterschiedlichen, eigentlich kontroversen Kernaussagen beider Ausstellungen: während die erste die Beteiligung aller Angehöriger der Wehrmacht an den Verbrechen zeigte und damit ein wesentliches Tabu der BRD-Gesellschaft aufbracht verzichtet die zweite auf die Wirkung der Fotos und bringt viel mehr Text, scheinbare Wissenschaftlichkeit. „Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei“, so Hannes Heers Fazit über die Wirkung und Aussage der neuen Ausstellung, eindeutig ein Rückschritt.