Hannes Heer, »Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei.« (Teil 2)
Spannend zu lesen sind in jedem Fall die folgenden Kapitel, in denen Briefe, Tagebücher und Aussagen ehemaliger Soldaten der Wehrmacht, darunter auch Aussagen von Ausstellungsbesuchern, analysiert werden. Es gibt nach wie vor die Leugner und Verdränger, aber einige der Besucher z.B., die per Zufallsauswahl um Interviews gebeten wurden, bestätigten aus eigenem Erleben die Verbrechen der Wehrmacht. Ein spätes Bedürfnis nach was eigentlich: Reue, Schmerz, ist es einfach der zeitlich Abstand oder das eigene fortgeschrittene Alter, das diese Eingeständnisse ermöglicht? Zudem wird anschaulich anhand der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, Böll, Remarque und Bamm werden herangezogen, dargestellt, welche Konstrukte oder Lesarten dieses Krieges, begonnen von Nazi-Deutschland, erwünscht und fortgeschrieben werden sollten und welche Erfahrungen eben ganz und gar nicht öffentlich diskutiert werden sollten: schon da ging es um die Legende der sauberen Wehrmacht, des anständigen Soldaten. Hannes Heer setzt sich desweiteren mit Jörg Friedrichs Brand auseinander, die einem militärischen Zweck folgenden Luftoperationen (der Alliierten) werden in einen Holocaust an den Deutschen verwandelt. Der Absolution für die Wehrmacht entspricht die Verdammung der Alliierten. Als besonders problematisch wird angesehen, das dieser neue Opferdiskurs auch dort stattfindet, wo es eindeutig um deutsche Verbrechen und deutsche Täter geht. So wurde in Dortmund z.B. als Teil des Rahmenprogramms der zweiten Wehrmachtsausstellung eine Sonderausstellung gezeigt, in der Kindern als Opfer des Bombenkrieges im Ruhrgebiet gedacht wurde.
Hannes Heers Titel regt zum Bilanzieren, zur Rückschau an, und das ist gar nicht schlecht: Eigentlich verwundert es eine beim Lesen einmal wieder, warum sich die Nazis immer noch so echauffierten und immer wieder wie ritualisiert gegen die Ausstellung demonstrierten. Ging es neben der Verteidigung der Ehre der Großväter, die doch gar nicht mehr so angegriffen wurde, vielleicht mehr um die öffentliche Präsenz, um die eigene Mobilisierungsfähigkeit, die öffentliche Darstellung der eigenen Stärke, der Durchsetzung des Demonstrationsrechtes explizit für Nazis? Zudem verwunderte, warum so viele der Männer, die altersmäßig der Tätergruppe oder deren Söhnen zuzuordnen waren, auch in der zweiten Ausstellung anscheinend genug Anlass fanden, sich superdoll aufzuregen und dafür auch offensichtlich ein Gegenüber suchten, so mehrfach erlebt während der Wehrmachtsausstellung in Bielefeld. Mit der Verantwortungsübernahme ist es immer noch nicht so weit, die Möglichkeit und Chance, die die Wehrmachtsausstellung bot, blieb leider sowohl individuell als auch gesellschaftspolitisch eher ungenutzt. (rk)
Hannes Heer, Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei., 395 S., Aufbau Verlag, 2004, 22,90 Eurobuch_eulenspiegel@gmx.de per Mail bestellen]