In seinem neusten Roman behandelt Vladimir Vertlib einen typischen Vater-Sohn Konflikt: da geht es um Erwartungen und Ansprüche, die nicht erfüllt werden. Ganz so typisch ist die Auseinandersetzung allerdings nicht, da es sich um einen jüdischen Vater und seinen jüdischen Sohn handelt, die in der heutigen Zeit in einer kleinen, mittelmäßigen deutschen Stadt namens Gigricht leben. Gabriel Salzinger, der Ich-Erzähler, hält z.B. die Reaktion des Vaters auf seine erste persönliche Erfahrung, mit dem Wort Jude beschimpft werden zu können für unangemessen: Du hättest ihm für den Saujuden die Zähne einschlagen müssen. Bist du ein Mann oder eine Maus? Der Vater: Hätte ich in dieser Fabrik bei solchen oder ähnlichen Äußerungen immer zugeschlagen, hätte ich mich täglich prügeln müssen und wäre längst ein körperliches Wrack...Ich hatte die Wahl gehabt, dort zu bleiben, wo das Wort Saujud nur als Scherz aufgefasst werden kann. Ich habe mich anders entschieden, also muss ich es aushalten. Das scheint des Vaters Lebensmotto zu sein.
Mit zunehmendem Alter stellt Gabriel allerdings fest, dass er seinem Vater nicht nur äußerlich immer ähnlicher wird. Er gestikuliert z.B. wie sein Vater, wenn er einen Kaffee bestellt, mit erhobener Hand und ausgestrecktem Zeigefinger, wie in der Schule. Auch ist es mit seiner Willensstärke, die ihm alle angesichts seines schnellen Studiums, seiner Arbeitsdisziplin unterstellen, nicht so weit her. Zumindest ist sein Wille nicht stark genug, sich das Rauchen abzugewöhnen. Allerdings darf auch unterstellt werden, dass es ihm gar nicht so wichtig ist, ohne Nikotin auszukommen. Und auch sonst fallen Parallelen auf: nach dem frühen Tod der Ehefrau suchte David, der Vater, gelegentlich eine Prostituierte auf, der er allerdings treu blieb, eine andere als Elisabeth, mit der er auch manchmal nur plauderte oder fernsah, kam für ihn nicht in Frage. Auch Gabriel scheint nach seiner ersten gescheiterten Ehe mehr oder weniger beziehungsunfähig, so dass sich sogar die Freunde um ihn Sorgen machen...
Als Gabriel zu einem lokalen Fußballspiel gehen will, sagt er ab und kommt der Bitte seines Vaters nach, ihn zu besuchen. Gabriel will die Gelegenheit nutzen, um etwas aus der Familiengeschichte zu klären, doch der Vater stirbt plötzlich und unerwartet in Gabriels Beisein. Sein letzter Wunsch, er möchte im Grab seiner Ehefrau auf dem jüdischen Gigrichter Friedhof beigesetzt werden, die letzte Ruhestätte ist längst vorbestellt. Das Begräbnis folgt dem jüdischem Ritus, doch kurz bevor das Grab vollständig zugeschaufelt ist, wird die Beerdigung unterbrochen, der Sarg heraufgezogen und der Leichnam in der Leichenhalle zwischengelagert. Denn nach Auffassung der orthodoxen jüdischen Gemeinde Gigrichts ist Gabriels Vater kein richtiger Jude, seine Großmutter mütterlicherseits war Christin.