Vladimir Vertlib, »Letzter Wunsch« (Teil 2)
Vladimir Vertlib lässt Gabriel die Geschichte seiner Eltern und Großeltern, die alle aus Gigricht stammen, erzählen. Es geht um die Zeit vor dem Faschismus, die Verfolgungsgeschichte während des Nationalsozialismus, die gelungene Flucht nach Israel und die Rückkehr nach Deutschland, nach Gigricht. In den erzählten Episoden treten diverse Widersprüche zu Tage. Durch die Verknüpfung mit Gabriels Lebensweg, der derzeitigen Situation der jüdischen Gigrichter Gemeinde,(ein orthodoxer Rabbi steht einer Gemeinde vor, in der sich hauptsächlich KontingentjüdInnen aus der ehemaligen Sowjetunion befinden) und des zu erfüllendem letzten Wunsches des Vaters werden diese Ungereimtheiten teilweise ad absurdum gesteigert. Immer wieder wird zwischen den Zeilen mit dem Vertlib typischem Humor die Frage gestellt, was oder wer oder wie ein Jude ist. Rosa Masur, die 94 jährige eingewanderte Jüdin, die erfreulicherweise in diesem Roman wieder auftaucht, bringt die Frage auf den Punkt: Sie wissen doch, dass Antisemiten Juden immer für dumm und verbohrt halten werden, egal was sie tun. Was wollen Sie in erster Linie sein? Ein Mensch oder ein braver Jude?
Auch wenn sich Vertlibs Letzter Wunsch nicht so assoziativ und hintergründig lesen lässt wie Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur, vielleicht hätten an manchen Stellen Andeutungen gereicht, erzählt er doch eine Geschichte, die erzählt werden muss und unbedingt lesenswert ist. Seine Sprache ist unkompliziert und geradlinig, die Geschichte liest sich in einem Fluss und er bietet einige gute Antworten auf die vielen schwierigen Fragen. Auf Gabriels Frage, was er davon habe, ein Mensch zu sein, entgegnet Rosa Masur: Nichts großartiges. Nur einen ruhigen Schlaf. Wenn man so alt ist wie ich, weiß man so etwas zu schätzen.
Vladimir Vertlib, Letzter Wunsch, Deuticke Verlag, Wien, 2003, 389 S., 22,90 Euro
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