Im vergangenen Jahr feierte das ArbeiterInnen-Jugend-Zentrum AJZ seinen 30. Geburtstag. Zum Jubiläum ist eine Dokumentation über die drei Jahrzehnte des autonomen Zentrums für Politik und Kultur erschienen. Mario A. Sarcletti hat sie gelesen.Zu Beginn von »AJZ 30 Jahre autonom und selbstverwaltet« steht der Leser vor der Frage, wann dieses runde Jubiläum eigentlich begangen werden sollte. Denn die Geburt des AJZ, von seinen Besuchern und Machern meist Ajo genannt, vollzog sich in zwei Schritten. Am April 1973 besetzten junge, politisierte Menschen das Haus der offenen Tür (HOT) in Brackwede. Sie wollten ihre Freizeit selbst gestalten, hatten aber auch politische Forderungen, wie der nach Existenzgeld und Streikrecht für Lehrlinge und wandten sich gegen die »Verdummung der Arbeiterjugend durch die Verdummungs- und Unterhaltungsindustrie«, wie es auf einem Flugblatt hieß. Nachdem das Haus nach nur fünf Tagen von der Polizei geräumt wurde, dauerte es ein Jahr, bis die BesetzerInnen in das Haus zogen, in dem sich das Ajo heute befindet. Am 1. Mai 1974 mieteten sie Räume in der damaligen Fahrradsattelfabrik Dargel in der Heeper Straße an. Heute gehört das Haus den Menschen, die sich in ihm tummeln, und ist eines der letzten wirklich autonomen Zentren in der BRD, seit 1991 gezwungenermaßen auch finanziell unabhängig.
Damit steht es für eine Bewegung und politische Auseinandersetzungen, die heute zum Teil immer mehr in Vergessenheit geraten oder sozialdemokratisiert werden. Und das ist es, was das Buch für politisch Interessierte so wertvoll macht. Am Beispiel AJZ können die Auseinandersetzungen zwischen dem politischen Establishment der BRD und der Linken in den letzten dreißig Jahren nachvollzogen werden, wie etwa die um Atomkraftwerke oder Rechtsextremismus. Auseinandersetzungen, von denen viele heute noch aktuell sind.
Eine Konstante in der Geschichte des AJZ ist zum Beispiel der Kampf gegen Repression durch staatliche Stellen, der 1991 zur Streichung der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand führte. Der Auslöser dafür war eine Demonstration für die Aufhebung der Isolationshaft und die Zusammenlegung von Angehörigen der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Das Buch berichtet darüber, dass das Vorgehen staatlicher Stellen gegen das AJZ immer wieder von den Medien, vor allem von Westfalenblatt und Neue Westfälische, flankiert wurde. Auch die Unterstützung von Hausbesetzungen Bielefeld, man glaubt es kaum, war eines der deutschen Zentren der Bewegung war immer wieder Anlass für Kampagnen gegen das Haus und seine Nutzer. Beispiele dafür sind das Vorgehen gegen Hausbesetzungen des Bunkers an der Stadtheider Straße und des legendären Hauses an der Waldemarstraße.
Die Auseinandersetzungen der Bundesrepublik in den letzten dreißig Jahren fanden also auch häufig ihren lokalen Niederschlag. Deshalb ist die Dokumentation über die Geschichte des AJZ auch ein Stück Heimatkunde, das gerade für Leserinnen und Leser interessant ist, die diese Zeiten in Bielefeld nicht miterlebt haben.
Dabei können Sie erfahren, dass aktuelle Auseinandersetzungen in dieser Stadt, wie der Kampf gegen den im August 2003 geschlossenen Nazitreffpunkt »Postmeister« vom vergangenen Jahr (
WebWecker berichtete)
, eine Vorgeschichte haben. Die Protagonisten beider Seiten standen sich schon Ende der 80er Jahre gegenüber. Damals war ganz in der Nähe des AJZ an der Bleichstraße ein Zentrum der Nationalistischen Front, einer inzwischen verbotenen Neonaziorganisation.