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Skandal: Erwerbsloser erhält Geld vom Staat!!! (04.06.2003)



Kurt Imhof
Skandalfetischist Imhof brach auch eine kommunikative Lanze für den Klatsch



»Skandal: Erwerbsloser erhält Geld vom Staat«. Eine Überschrift, die es so wohl noch nicht gegeben hat. Doch das kann sich bald ändern. Keine journalistische Gattung an sich, handelt es sich beim Skandal um eine mediale Inszenierung von etwas, dass die gesellschaftlichen Regeln, Werte und Normen verletzt.










Von Manfred Horn

Zur 125. »Public Domain« hatte der Verein »FoeBuD« am vergangenen Sonntag den Züricher Soziologie- und Publizistik-Professor Kurt Imhof geladen. Der nahm die ZuhörerInnen auf eine unterhaltsame und gleichsam wissenschaftliche Reise in die Geschichte der Skandale mit. Skandale sind für Imhof ein Deutungsmuster eines Ereignisses. Skandale sind in der Lage, bestehende Werte und Normen einer Gesellschaft anzugreifen und manchmal auch zu verändern. Von daher passen Skandale jeweils zu der Gesellschaft, in der sie stattfinden. Als 1972 Rosa von Praunheim den ersten Schwulenfilm fürs Fernsehen produzierte, weigerte sich die ARD, diesen auszustrahlen. Nur der WDR zeigte ihn in seinem dritten Programm, mit anschließender Diskussion. Der doppelte Skandal war da: Eine öffentlich-rechtliche Institution weigerte sich, eine gesellschaftlich vorhandene Form von Zusammenleben und Sexualität zu zeigen. Doch das war der kleinere Skandal von beiden. Der größere war, dass der WDR es schließlich wagte, den Film zu zeigen. Die Feindseligkeit gegen Homosexuelle bestimmte damals noch den öffentlichen Diskurs.

Heute, gut 30 Jahre später, nimmt kaum noch jemand Anstoß an der Erscheinung von Schwulen oder Lesben auf dem Bildschirm. Hier waren die Medien, auch die 1984 hinzugekommenen privaten TV-Stationen, mitverantwortlich dafür, dass sich das Wertegefüge zumindest im öffentlichen Diskurs verschob. Imhof spricht hier von einem »Strukturwandel der Öffentlichkeit«.Ob sich im Privaten die ablehnende Einstellung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen mit geändert hat, ist damit allerdings nicht gesagt.

»Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Skandal«, sagt Imhof und geht zurück in die Aufklärungsgeschichte, um die Bedeutung von Skandalen zu unterstreichen. In der Aufklärung liege die heutige Potenz von Skandalen begraben. Erstmals im 13. Jahrhundert sei der Begriff »offentliches Gericht« benutzt worden. Es handelte sich damals noch um ein sakrales Gerichtsverständnis: Die Sünden passieren im Dunkeln, das Gericht holt sie ans Tageslicht, um sie dort auszugleichen. Hinrichtungen passieren bis heute im Morgengrauen: Eine deutliche Referenz auf den Ursprung öffentlicher Gerichte: Mit dem ersten Sonnenstrahl kann das Dunkle, die Sünde, am hellen Tag gerichtet werden. Die Norm sei simpel: Wenn es dunkel ist, sehen wir nichts; am Tag bei Licht sehen wir: Dann geben sich das Gute und das Offensichtliche die Hand. Daraus habe sich auch die Utopie der Moderne entwickelt: Vernunft und Tugendhaftigkeit. Der Mensch müsse sich frei unterhalten können, dies sei die Voraussetzung einer aufgeklärten Gesellschaft. Lüge hingegen ist das schlimmste Vergehen in einer solchen Gesellschaft. Sie soll der Bannstrahl der Öffentlichkeit treffen. So wird die Öffentlichkeit zur Erzieherin.