Am vergangenen Freitag rang sich die Innenministerkonferenz
dazu durch, eine alte Forderung von Flüchtlingsorganisationen anzupacken.
Langjährig Geduldete, also ausreisepflichtige Menschen, die nicht ausreisen
können, sollen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Die ist aber an strenge
Voraussetzungen gekoppelt, deshalb gibt es wieder Kritik von Flüchtlingsräten
und Pro Asyl. In der Ausländerbehörde ist man aber froh über die Regelung, da
sie Druck von den Mitarbeitern nimmt.
Von Mario A.
Sarcletti
»Das ist schon eine Erleichterung«, freut sich Rüdiger Schmidt über die
Bleiberechtsregelung, zu der sich die Innenministerkonferenz am vergangenen
Freitag durchringen konnte. Er ist
Leiter der Bielefelder Bürgerberatung, die auch für eine Gruppe von
Migranten zuständig ist, deren Abschiebung immer wieder heftig kritisiert
wurde. »Dieser Druck kommt ja auch immer bei den Mitarbeitern an«, berichtet
Schmidt über den Arbeitsalltag in seiner Behörde. Der Druck kam auch wiederholt
von den Medien, denn unter humanitärem Aspekt war es zumindest äußerst
fragwürdig, Menschen, die seit Jahren in der Bundesrepublik leben und
integriert sind, abzuschieben. Da protestierten schon mal ganze Schulklassen
vor laufenden Fernsehkameras dagegen, dass ihre Mitschülerin abgeschoben werden
sollte, Arbeitgeber wehrten sich dagegen, dass ein langjähriger Mitarbeiter
plötzlich verschwand. Menschen die mehr als zehn Jahre in der BRD leben, deren
Kinder hier geboren sind, wurden nachts aus den Betten geholt und zum Flugzeug
gebracht.
Bundesweit sind etwa 190.000, in Bielefeld etwa 1000 Menschen von der
Bleiberechtsregelung betroffen, die meisten sind Flüchtlinge, viele aus dem
ehemaligen Jugoslawien. Nach ihr sollen Familien, die seit mindestens sechs,
und Alleinstehende, die seit mindestens acht Jahren hier leben, eine zunächst
auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Vorraussetzung dafür
ist aber, dass sie eine Arbeit haben und keine Sozialleistungen erhalten. Nach
Angaben von Rüdiger Schmidt sind das etwa 200 in Bielefeld. Außerdem dürfen die
noch Geduldeten nicht vorbestraft sein oder zu maximal fünfzig, im Fall von
Verstößen gegen das Aufenhalts- beziehungsweise Asylverfahrensgesetz neunzig
Tagessätzen verurteilt worden sein. Wer von den langjährig Geduldeten noch
keine Arbeit hat, muss bis zum 30. September kommenden Jahres eine finden. Bis
dahin müssen die Betroffenen außerdem Deutschkenntnisse nachweisen.
Ausbeutung als Folge
Vor allem die letzten beiden Punkte stoßen auf Kritik bei
Flüchtlingsorganisationen. »Das führt zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen«,
befürchtet Beate Niemeier vom Bielefelder Flüchtlingsrat böse Folgen durch den
Druck eine Arbeit zu finden. Außerdem sei unklar, ob es für die Menschen
Deutschkurse gibt. »Gerade Jugendliche, die hierhin kamen und nicht mehr
schulpflichtig waren, haben hier Defizite und brauchen Unterstützung«, sagt
Niemeier. Sie stört auch, dass Menschen, die sich der Abschiebung entzogen
haben, von der Bleiberechtsregelung ausgenommen werden. »Das ist eine
Schweinerei, die haben doch nur ihr Leben gerettet und mussten sich der
Abschiebung entziehen, weil es diese Regelung so lange nicht gab«, findet
Niemeier.
Sie nennt den Kompromiss der Innenminister eine Mogelpackung. »Es wäre
viel einfacher gewesen zu sagen, es ist den Leuten nach so langer Zeit nicht
zumutbar, dass sie in ihr Herkunftsland zurückkehren«, erklärt Beate Niemeier.
Außerdem ist die Regelung ihrer Meinung nach in vielen Punkten zu unkonkret,
sodass es wieder viele Einzelfallentscheidungen geben werde.
Solche Einzelfälle sieht auch Rüdiger Schmidt auf seine Mitarbeiter
zukommen. Er nennt ein Beispiel: »Es gilt ja der Stichtag 17. November. Was ist
mit einer Familie, die sich am 18. November 2000 bei der Ausländerbehörde
gemeldet hat?«. Schmidt spricht von Grenzfällen, bei denen viel
Fingerspitzengefühl erforderlich sei. Ein weiterer Grenzfall könnte es sein,
wenn ein 19jähriger vorbestraft ist. »Soll dann seine ganze Familie abgeschoben
werden«, fragt sich Schmidt. Er hofft auf den »verfahrensleitenden Erlass« aus
dem Innenministerium, der die konkrete Arbeit der Ausländerbehörden bestimmt.
Allerdings haben die Innenminister da bereits eine klare Vorgabe gemacht: »Bei
Ausschluss eines Familienmitglieds wegen Straftaten erfolgt grundsätzlich der
Ausschluss der ganzen Familie«, steht in dem Papier vom 17. November. Der
Begriff »Sippenhaft« bekommt so eine ganz konkrete Bedeutung.
Der Erlass wird wahrscheinlich auch ein anderes Problem nicht lösen:
»Die Aufenthaltserlaubnis muss in ein Ausweisdokument geklebt werden. Wenn
einer das nicht hat, wird es schwierig«, erläutert Schmidt. Und viele
Betroffene haben eben keinen Pass und es ist oft schwierig, einen vom Herkunftsland
zu bekommen. Auch Beate Niemeier sieht ein ganz konkretes Papier-Problem. »Die
Leute, die Arbeit suchen, müssen weiter mit ihrer Duldung hausieren gehen und
da steht erst mal drin, dass Arbeitsaufnahme nicht gestattet ist«, befürchtet
sie Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche. Rüdiger Schmidt hofft auch hier auf
den Erlass aus Düsseldorf: »Wenn da drinsteht, dass wir das mit der
Arbeitsaufnahme streichen dürfen, würde das helfen«, erklärt er.
Grundsätzlich ist Rüdiger Schmidt aber mit der Bleiberechtsregelung
zufrieden. Auch er vertritt den Standpunkt, der in dem Papier der
Innenministerkonferenz immer wieder auftaucht. »Die Frage ist: Was belastet die
öffentlichen Kassen?«, findet Schmidt. Die Innenminister betonten immer wieder
ihre Angst vor einer »Zuwanderung in die
Sozialsysteme«. »Sie dürfen nicht durch großzügige Sozialleistungen
Anreize für den weiteren Verbleib in Deutschland bekommen«, erklärte Günther
Beckstein bei der Vorstellung des Kompromisses. Wo er »großzügige
Sozialleistungen« sieht, bleibt aber sein Geheimnis, die Geduldeten bekommen
noch nicht einmal die 345 Euro Arbeitslosengeld II. Aber offensichtlich denken
die Innenminister, dass es den Geduldeten immer noch zu gut geht. Sie bitten
den Bundesgesetzgeber, »entsprechende Veränderungen im Leistungsrecht zu
prüfen«.
Wer nicht arbeitet, fliegt raus
Beckstein machte bei der Gelegenheit auch gleich klar, was die
Kehrseite der Bleiberechtsregelung ist: »Das bedeutet im Gegenzug aber auch,
dass der Aufenthalt von Ausländern, die nach dieser Regelung keine
Aufenthaltserlaubnis erhalten können, konsequent beendet werden muss«, droht
der bayrische Innenminister. Das steht so auch in dem Papier der Innenminister.
»Die Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern soll durch geeignete
Maßnahmen verbessert werden«, heißt es dort weiter. Damit ist wohl nicht
gemeint, dass für die Abschiebungen Plätze in der 1. Klasse gebucht werden. Es
könnte vielmehr zu der paradoxen Situation kommen, dass die Zahl der
Abschiebungen durch die Bleiberechtsregelung ansteigt. Eine irakische Familie,
die »erst« seit fünf Jahren und elf Monaten in Bielefeld lebt und deren Kinder
in Bielefelder Schulen gehen, könnte sich also demnächst im Flugzeug nach
Bagdad wiederfinden. Eine Galgenfrist hat sie nur noch bis der Erlass aus
Düsseldorf kommt. Denn bis dahin gibt es einen Abschiebestopp.