Von Mario A. Sarcletti
Der Gebetsraum an der August-Bebel-Straße ist zum Nachmittagsgebet gut gefüllt. Etwa siebzig Muslime beten Richtung Mekka gewandt, gut fünfzig Nichtmuslime sehen ihnen dabei zu. Sie sind der Einladung gefolgt, einen Eindruck vom Glauben ihrer muslimischen Mitbürger zu bekommen. Vier- bis fünftausend davon gibt es in Bielefeld, schätzt der Vorstandsvorsitzende des Islamischen Zentrums, Nadir Pervaiz. Etwa dreißig Prozent davon sind nach seinen Angaben aktive Moslems, eine Quote, von der christliche Kirchen nur träumen können.
Der gebürtige Pakistani hat die deutsche Staatsbürgerschaft und liegt damit im Trend. Beziehungsweise lag: Seit dem 11. September 2001 geht die Zahl der Einbürgerungen nach seinem Eindruck zurück, nachdem in den Jahren zuvor die Zahl der Einbürgerungen von Moslems stark angestiegen war. »Da ist das Bewusstsein vor allem von Türken gestiegen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen«, sagt Pervaiz. Insgesamt fühlten sich die Muslime in Deutschland gut integriert, erklärt er und fügt hinzu: »Vor allem Muslime, die hier geboren und aufgewachsen sind, sehen Deutschland als ihre Heimat und ihre Heimat nur als Urlaubsland«.
Tatsächlich sind unter den Männern, die hinter dem Vorbeter auf dem Boden knien, viele, die auf den ersten Blick nicht als »fremd« erscheinen. Blue Jeans dominieren, ein junger Mann viele der Betenden sind im Vergleich mit christlichen Kirchen eher jugendlich - trägt beim Beten ein Baseball-Käppi mit dem Schirm nach hinten. Bei einem anderen in sportlichem Outfit ist auch nur auf den zweiten Blick zu erkennen, dass er etwas anders ist als die Mehrheitsgesellschaft. Statt eines Markennamens steht Mecca auf seinem Sweater.
Auffälliger sind da schon die Frauen, die im hinteren Bereich des Gebetsraumes knien, denn sie tragen ein Kopftuch, für viele Nichtmuslime ein rotes Tuch. Ihnen gilt das Stück Stoff als Symbol der Unterdrückung der Frau. »Bei vielen Mädchen und jungen Frauen, die sie auf der Straße sehen, ist das Tragen des Kopftuchs freiwillig«, entgegnet denen Nadir Pervaiz. Er verurteilt es, wenn eine Familie Zwang zum Tragen des Kopftuches ausübt. »Wenn eine Familie durch Unterdrückung ihre Tochter oder Schwester zwingt ein Kopftuch zu tragen, hat diese Familie den Islam noch nicht verstanden«, meint er. Andererseits findet er aber auch das Kopftuchverbot für Lehrerinnen in einigen Bundesländern falsch. »Diejenigen, die das Kopftuch als Problem sehen und die Muslime zur Integration aufrufen, wollen keine Integration sondern Assimilation«, kritisiert Pervaiz die Verbote. Er hält das Bild vom Islam als frauenfeindlich für falsch, sorgt sich aber: »Wenn die Europäer mit Muslimen nicht in Dialog treten, können wir ihnen nicht erklären, dass das Kopftuch kein Symbol der Unterdrückung der Frau ist«.
Auch Witze über Jesus nicht lustig
Auch bei einem anderen aktuellen Thema wünscht er sich mehr Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, nämlich bei der Diskussion um die Freiheit von Presse und Kunst, die nach dem Streit um die Mohammed-Karikaturen durch die Absetzung von Idomeneo in Berlin neu entflammt ist. »Im Islam gibt es Grenzen. Wenn man diese Grenzen überschreitet, dann hat man die Würde des Menschen verletzt«, erklärt er. Den Einwand, dass Christen Filme wie »Das Leben des Brian« ertragen, ohne gleich Kinos anzuzünden, will er nicht gelten lassen. »Die katholische Kirche ist auch nicht glücklich, wenn über Jesus Witze gemacht werden«, sagt er. »Man sollte auch zusehen, dass man diese Menschen nicht verletzt und die Freiheit ihre Grenzen hat«, findet Pervaiz. Er findet auch Witze über Jesus nicht lustig: »Genauso, wie wir Respekt vor Mohammed Friede sei mit ihm - haben, genauso wütend und traurig sind wir, wenn es eine solche Beleidigung gegenüber Jesus gibt«, erläutert er. Denn schließlich sei auch Jesus ein Prophet und für Moslems hätten alle Propheten den gleichen Stellenwert.
Gewalt anlässlich solcher Grenzüberschreitungen aus der Sicht von Muslimen lehnt Nadir Pervaiz aber ab. »Muslime sollten auf keinen Fall Gewalt anwenden«, findet er, schränkt aber ein: »Zumindest da, wo Frieden ist.« Pervaiz macht klar, was er mit dieser Einschränkung meint: »Sicherlich gibt es Regionen, wo es eine Besatzungsmacht bei uns gibt, sei es im Irak, in Afghanistan, Tschetschenien oder Palästina, wo man sich unterdrückt fühlt«, sagt er und fügt hinzu: »Da würde ich sagen, dass die Menschen Widerstand leisten«.
Hierzulande wünscht sich der Vorsitzende des Islamischen Zentrums allerdings vor allem einen Dialog mit Nichtmuslimen. Mit jüdischen Mitbürgern klappt der aber nicht so recht. »Wir kennen kaum jüdische Mitbürger in Deutschland«, räumt Pervaiz ein. Es habe zwar einen ersten Dialogversuch in Bielefeld gegeben, die jüdische Seite habe sich dabei aber seiner Meinung nach zu wenig engagiert. Auf Antisemitismus in muslimischen Kreisen, wie etwa bei Demonstrationen gegen den Libanonkrieg, angesprochen, fordert er dazu auf, den Antisemitismusbegriff enger zu fassen: »Sobald Kritik am Staat Israel geübt wird, wird sofort der Aufkleber Antisemitismus draufgeklebt, das finde ich nicht in Ordnung«, erklärt Nadir Pervaiz. Mit dieser Meinung ist er in Deutschland tatsächlich recht gut integriert.