»Der Tag, an dem uns meine Mutter über ihre Entscheidung in
Kenntnis setzte, war kein günstiger Tag. Es war ein regnerischer Dienstag.
Dienstage sind grundsätzlich langweilig und garstig.(...)An einem Dienstag in
einen Unfall verwickelt zu werden, der mich lebenslang lähmt, würde mich
überhaupt nicht wundern,« so Roya, die verständnisvolle, vermittelnde aber auch
überforderte Tochter der Familie Azad. Die Kleinfamilie Azad mit persischem
Migrationshintergrund lebt in Köln, der Lebensunterhalt wird durch das
Betreiben eines Restaurants bestritten, der Alltag scheint geregelt. Da stürzt
die Mutter Sima Khanoom Ankündigung mir ihrer Absicht, einen Antrag auf
Einbürgerung zu stellen, die Familie von jetzt auf gleich ins Chaos, was
natürlich nur damit zusammenhängen kann, das dies an einem Dienstag geschah.
Die Überlegung Sima Khanooms, das nun, da ja eine große
Koalition regiere, alles möglich sei und vielleicht auch das Gesetz zur
Einbürgerung nochmals verändert und erschwert werden könne, ist überaus
rational und vernünftig, eine Qualität, die sie zur Annahme der deutschen
Staatsbürgerschaft geradezu prädestiniert.Sima Khanooms Absicht, begründet in
der Akzeptanz der Realität »Wo meine Kinder leben, bin auch ich zu Hause,« und
ihre Kinder haben längst ihre eigenen Wege im kulturellen Mix gefunden, löst
grundlegende Meinungsverschiedenheiten, ja eine geradezu existentielle
Gefährdung der Integrität der schutzwürdigen Einheit der Familie aus: mehrmals
erwägt sie die Trennung und den Umzug ins Frauenhaus. Die Einbürgerungsabsicht
erfordert die intensive und umfassende Erforschung der deutschen Kultur, der
deutschen Mentalität und Lebensart. Fortan schmücken neben mystischen Figuren
aus dem Märchen- und Sagenwelt auch Fotos bundesdeutscher Politiker und
Politikerinnen die gemeinsame Familienwohnung. Reden aus dem Bundestag,
Pamphlete der Parteien werden durchgearbeitet und diskutiert. Der Nachbar
Herbert, eine alleinstehender, Brahms-liebender Rentner, wird zunehmend in
seiner Funktion des typischen Deutschen in Beschlag genommen. Sim Khanoom
scheint sich mehr für Herbert, Kröten und Wasserkarnevalisten zu interessieren
als für ihre Familie. Tochter Roya sucht Zuflucht bei dem blauäugigem Peter,
Sohn Reza bei Chips und Cola vom Kiosk und angeblichem Chemieübungspartner Kai.
Und das Familienoberhaupt Abbas verteidigt empört und entschlossen die
ehrwürdige persische Tradition, muss sich aber letztlich geschlagen geben, und
findet Trost in der islamischen Mystik.
Die Juristin, Kunsthistorikerin und engagierte
Kriegsgegnerin Fahimeh Farsaie wurde
1952 in Teheran geboren und war bereits unter dem Schah-Regime 18 Monate
inhaftiert. Auch unter der Khomeini-Herrschaft wurde sie verfolgt. Seit 1983
lebt sie in der BRD und arbeitet als freie Journalistin und Autorin, ihre
letztes Buch »Hüte dich vor den Männern mein Sohn« erschien 1998.
Mit ihrem neuen Roman ist Fahimeh Farsaie ein wunderbarer
Wurf gelungen, ein temporeicher, nur so sprudelnder Roman um einen
Einbürgerungsversuch, dem es auch an satirischen Einschüben und liebevollem bis
bissigem Humor nicht mangelt. Liebevoll nähert sie sich kulturellen
Unterschieden und Widersprüchen an, setzt sich mit Sein und Schein auseinander.
Wie wunderbar ihr Umgang mit der eher spröden und harten deutschen Sprache:
ungewohnt poetisch blumig klingt es, gerade so wie wir, die LeserInnen es vom
stilvollen Persisch erwarten. Fahimeh Farsaie spielt augenzwinkernd mit den
Klischees auf allen Seiten, sie macht keine Ausnahme: auch Royas Freund Peter
mit seinen blauen Augen, wird in seiner Suche nach Exotik entlarvt oder die
Therapeutin, die jede kulturell bedingte Unterschiedlichkeit grob übergeht und
nur festgefahrenen unzutreffende Vermutungen als Wahrheiten zulässt. Auch über
die Besonderheiten der einzelnen
Bundesländer wird keinesfalls hinweggegangen: »Einen Tag nach unserem Fest
unternahm ich einen letzen Versuch, wies meine Mutter auf die Bedeutung der
Sprachprüfung für das Einbürgerungsverfahren hin und erwähnte einige in Bayern
fehlgeschlagene Versuche. Gelassen antwortete sie mir. »Gott sei Dank, dass wie
in Nord Rhein Westfalen leben: Dem Land der Toleranz, des Verständnisses und
des friedlichen Zusammenlebens,«« wunderbar.
Aber Spaß beiseite: gerade aktuell wird wieder heftigst über
sogenannte integrationsunwillige Parallelgesellschaften diskutiert, komplexe
Fragebögen und Sprachtests werden für EinbürgerungskanditatInnen gefordert und
eingeführt, das ist weit entfernt von einer Gesellschaft, die die Tatsache der
Migration und Zuwanderung als positive Bereicherung bewertet. Nach der
anregenden Lektüre Farsaies Roman über einen Einbürgerungsversuch stellt sich
die Frage, ob es nicht auch Sinn machen könnte, »richtigen Deutschen« ebenfalls
zur Überprüfung ihrer Integrität solche Fragebögen vorzulegen . Allerdings
stellte sich dann die schwierige Frage, welche Konsequenzen dies bei
Nichtbestehen hätte....
Der engagierte Ulrike Helmer Verlag legt mit dieser 300. Neuerscheinung,dem
Titel von Farsai eine gelungene,
aktuelle, schwungvolle, satirische und pointierte Kritik der im bundesdeutschen
Alltag oft eher bitteren Realität der Menschen mit Migrationshintergrund vor, unbedingt lesenswert.
Fahimeh Farsaie, An einem Dienstag beschloss
meine Mutter Deutsche zu werden, Ulrike Helmer Verlag, 260S., 2006, 17,90 Euro
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