Webwecker Bielefeld: Fahimeh Farsaie: »An einem Dienstag beschloss meine Mutter Deutsche zu werden« (September, 2006)

Fahimeh Farsaie: »An einem Dienstag beschloss meine Mutter Deutsche zu werden« (September, 2006)



»Der Tag, an dem uns meine Mutter über ihre Entscheidung in Kenntnis setzte, war kein günstiger Tag. Es war ein regnerischer Dienstag. Dienstage sind grundsätzlich langweilig und garstig.(...)An einem Dienstag in einen Unfall verwickelt zu werden, der mich lebenslang lähmt, würde mich überhaupt nicht wundern,« so Roya, die verständnisvolle, vermittelnde aber auch überforderte Tochter der Familie Azad. Die Kleinfamilie Azad mit persischem Migrationshintergrund lebt in Köln, der Lebensunterhalt wird durch das Betreiben eines Restaurants bestritten, der Alltag scheint geregelt. Da stürzt die Mutter Sima Khanoom Ankündigung mir ihrer Absicht, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen, die Familie von jetzt auf gleich ins Chaos, was natürlich nur damit zusammenhängen kann, das dies an einem Dienstag geschah.

Die Überlegung Sima Khanooms, das nun, da ja eine große Koalition regiere, alles möglich sei und vielleicht auch das Gesetz zur Einbürgerung nochmals verändert und erschwert werden könne, ist überaus rational und vernünftig, eine Qualität, die sie zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft geradezu prädestiniert.Sima Khanooms Absicht, begründet in der Akzeptanz der Realität »Wo meine Kinder leben, bin auch ich zu Hause,« und ihre Kinder haben längst ihre eigenen Wege im kulturellen Mix gefunden, löst grundlegende Meinungsverschiedenheiten, ja eine geradezu existentielle Gefährdung der Integrität der schutzwürdigen Einheit der Familie aus: mehrmals erwägt sie die Trennung und den Umzug ins Frauenhaus. Die Einbürgerungsabsicht erfordert die intensive und umfassende Erforschung der deutschen Kultur, der „deutschen Mentalität und Lebensart“. Fortan schmücken neben mystischen Figuren aus dem Märchen- und Sagenwelt auch Fotos bundesdeutscher Politiker und Politikerinnen die gemeinsame Familienwohnung. Reden aus dem Bundestag, Pamphlete der Parteien werden durchgearbeitet und diskutiert. Der Nachbar Herbert, eine alleinstehender, Brahms-liebender Rentner, wird zunehmend in seiner Funktion des typischen Deutschen in Beschlag genommen. Sim Khanoom scheint sich mehr für Herbert, Kröten und Wasserkarnevalisten zu interessieren als für ihre Familie. Tochter Roya sucht Zuflucht bei dem blauäugigem Peter, Sohn Reza bei Chips und Cola vom Kiosk und angeblichem Chemieübungspartner Kai. Und das Familienoberhaupt Abbas verteidigt empört und entschlossen die ehrwürdige persische Tradition, muss sich aber letztlich geschlagen geben, und findet Trost in der islamischen Mystik.

Die Juristin, Kunsthistorikerin und engagierte Kriegsgegnerin  Fahimeh Farsaie wurde 1952 in Teheran geboren und war bereits unter dem Schah-Regime 18 Monate inhaftiert. Auch unter der Khomeini-Herrschaft wurde sie verfolgt. Seit 1983 lebt sie in der BRD und arbeitet als freie Journalistin und Autorin, ihre letztes Buch »Hüte dich vor den Männern mein Sohn« erschien 1998.  

Mit ihrem neuen Roman ist Fahimeh Farsaie ein wunderbarer Wurf gelungen, ein temporeicher, nur so sprudelnder Roman um einen Einbürgerungsversuch, dem es auch an satirischen Einschüben und liebevollem bis bissigem Humor nicht mangelt. Liebevoll nähert sie sich kulturellen Unterschieden und Widersprüchen an, setzt sich mit Sein und Schein auseinander. Wie wunderbar ihr Umgang mit der eher spröden und harten deutschen Sprache: ungewohnt poetisch blumig klingt es, gerade so wie wir, die LeserInnen es vom stilvollen Persisch erwarten. Fahimeh Farsaie spielt augenzwinkernd mit den Klischees auf allen Seiten, sie macht keine Ausnahme: auch Royas Freund Peter mit seinen blauen Augen, wird in seiner Suche nach Exotik entlarvt oder die Therapeutin, die jede kulturell bedingte Unterschiedlichkeit grob übergeht und nur festgefahrenen unzutreffende Vermutungen als Wahrheiten zulässt. Auch über die  Besonderheiten der einzelnen Bundesländer wird keinesfalls hinweggegangen: »Einen Tag nach unserem Fest unternahm ich einen letzen Versuch, wies meine Mutter auf die Bedeutung der Sprachprüfung für das Einbürgerungsverfahren hin und erwähnte einige in Bayern fehlgeschlagene Versuche. Gelassen antwortete sie mir. »Gott sei Dank, dass wie in Nord Rhein Westfalen leben: Dem Land der Toleranz, des Verständnisses und des friedlichen Zusammenlebens,«« wunderbar.

Aber Spaß beiseite: gerade aktuell wird wieder heftigst über sogenannte integrationsunwillige Parallelgesellschaften diskutiert, komplexe Fragebögen und Sprachtests werden für EinbürgerungskanditatInnen gefordert und eingeführt, das ist weit entfernt von einer Gesellschaft, die die Tatsache der Migration und Zuwanderung als positive Bereicherung bewertet. Nach der anregenden Lektüre Farsaies Roman über einen Einbürgerungsversuch stellt sich die Frage, ob es nicht auch Sinn machen könnte, »richtigen Deutschen« ebenfalls zur Überprüfung ihrer Integrität solche Fragebögen vorzulegen . Allerdings stellte sich dann die schwierige Frage, welche Konsequenzen dies bei Nichtbestehen hätte....

Der engagierte Ulrike Helmer Verlag legt mit dieser 300. Neuerscheinung,dem Titel von  Farsai eine gelungene, aktuelle, schwungvolle, satirische und pointierte Kritik der im bundesdeutschen Alltag oft eher bitteren Realität der Menschen mit Migrationshintergrund  vor, unbedingt lesenswert. 

Fahimeh Farsaie, „An einem Dienstag beschloss meine Mutter Deutsche zu werden“, Ulrike Helmer Verlag, 260S., 2006, 17,90 Euro

Buch per Mail bestellen