Webwecker Bielefeld: Zunehmende Militarisierung gegen den Süden (06.09.2006)

Zunehmende Militarisierung gegen den Süden (06.09.2006)



Tobias Pflügerer: »Ich bin gegen jede Armee«



Von Manfred Horn

Rund 250 Menschen versammelten sich am vergangenen Samstag auf dem sowjetischen Friedhof bei Stukenbrock. Der wurde von Gefangenen nach der Befreiung angelegt. In 36 Massengräbern und 788 Einzelgräbern liegen dort rund 65.000 im nahe gelegenen Gefangenenlager Stalag 326 (VI/K) zu Tode gequälte Kriegsgefangene, zum großen Teil aus der ehemaligen Sowjetunion.

Wie seit vielen Jahren kamen am ersten Samstag im September Menschen auf dem Friedhof zusammen, um der Toten zu gedenken und den Frieden zu mahnen. Anlass für dieses feste Datum bildet der Antikriegstag, der jeweils am 1. September stattfindet – am 1. September 1939 eröffneten die Nationalsozialisten ihren Vernichtungskrieg.

Zu Beginn der Veranstaltung legten viele Teilnehmer Blumen und Kränze am Obelisquen ab, einem Denkmal, das von den befreiten Gefangenen nach der Befreiung errichtet wurde. 1956 ließ die damalige Landesregierung die gläserne rote Fahne demontieren, die die Spitze des Denkmals bildete. Stattdessen setzte man zwei orthodoxe Kreuze nach oben. Bis heute kämpfen der Verein ›Blumen für Stukenbrock‹ und Überlebende dafür, dass die rote Fahne wieder die Spitze des Denkmals ziert. Erst dann würde es wieder so aussehen, wie es damals gebaut wurde. Nun hofft der Verein, dass die Spitze bis Ende 2007 ausgetauscht ist. »Damit wäre auch das letzte Relikt des kalten Krieges gefallen«, erklärte Werner Höner vom Verein.

Die diesjährige Hauptrede hielt Tobias Pflügerer. Der Europaparlamentarier der Linkspartei. »Ich bedanke mich ungerne bei Soldaten. Dies tue ich aber bei denen, die hier gefangen waren. Sie haben sich dem Nationalsozialismus entgegengesetzt«, erklärte er. Dann ging Pflügerer, der Kriege als Mittel der Politik ablehnt, auf die aktuelle Situation ein: Zur Zeit gibt es elf Bundeswehreinsätze mit 7600 Soldaten weltweit, ein Einsatz im Libanon kommt sehr wahrscheinlich in den nächsten Wochen dazu. Auch einen Einsatz im Libanon lehnt Pflügerer ab. Deutschland müsse nicht, wie von dem SPD-Bundesvorsitzenden geäußert, eine Führungsrolle in diesem Konflikt übernehmen. Im Gegenteil: »Dieses Land müsste so etwas wie ein internationaler Kriegsdienstverweigerer werden«.

Geschichtsrevisionismus seit Jugoslawienkrieg

Schleichend würden die Auslandseinsätze der Bundeswehr immer mehr zu Kampfeinsätzen. »Holt die Truppen aus Afghanistan zurück«, fordert er. Seit Jahren macht Pflügerer einen verstärkten Geschichtsrevisionismus aus. Dies gelte für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im ehemaligen Jugoslawien, an dem Deutschland beteiligt war. »Es gibt den Versuch, die Einmaligkeit der Geschichte zurückzudrehen«. eine Aussage, die Pflügerer auch an ganz aktuellen Ereignissen wie der Gedenkrede von Hermann Schäfer, dem stellvertretenden Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Der hatte sich vor zwei Wochen zur Eröffnung des Kunstfestes in Weimar im Beisein von ehemaligen KZ-Häftlingen ausführlichst über die Leiden der vertriebenen Deutschen gesprochen, das nahe KZ Buchenwald aber mit keinem Wort erwähnt. Pflügerer forderte in seiner Rede Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich von der Rede zu distanzieren.

Da Pflügerer im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlamentes sitzt, bekommt er eine Menge mit. So hat er in der EU eine »zunehmend neokoloniale Militärpolitik« ausgemacht. Die richte sich gegen die Menschen im Süden. Die Mehrheit der Parlamentarier wolle eine weitere Militarisierung der EU, wahlweise als Partner oder Gegengewicht zur USA, vor allem aber gegen den Süden gerichtet.





»Es gibt Situationen, da ist Militär notwendig«, entgegnete Gundram Schneider, DGB-Vorsitzender in NRW, in seiner Rede den Ausführungen Pflügerers. Er erinnerte dabei an den Nationalsozialismus


Juli Kwizinski, ehemaliger Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland und heute Abgeordneter in der Duma, zeichnete ein düsteres Bild der Gegenwart: »Heute ist es in der Welt schlimmer als im kalten Krieg«