Webwecker Bielefeld: Ein zartes Märchen

Ein zartes Märchen



Emmas Glück

Von Harald Manninga

Hauptdarstellerin Jördis Triebel wird anlässlich dieses Films allüberall als die große Überraschung und Entdeckung gefeiert. Zumal sie jetzt völlig zu Recht beim Münchner Filmfest den »Förderpreis Deutscher Film« als beste Hauptdarstellerin bekommen hat.

Kaum ein Artikel seitdem über sie, der ihrem Namen nicht, mal ehrfurchtsvoll, mal sachlich, das Wort »Theaterschauspielerin« vorstellt, die sie ja »eigentlich« sei. – Warum nur macht man sowas? Stimmt, sie hat halt das Schauspielen auf einer richtigen Schauspielschule gelernt und das Gelernte mit ausgesprochen viel Talent unterfüttert. Und? Warum ist es so bemerkenswert, dass jemand sein, repektive ihr, Metier mit Hilfe ordentlicher Unterweisung angreift und außerdem gut was an Erfahrung mitbringt, bevor er oder sie sich auch mal vor eine Kamera begibt? Liegts daran, dass der männliche Hauptdarsteller, Jürgen Vogel, seinerseits die Schauspielschule nach dem ersten Tag geschmissen hat, um direkt (und sehr erfolgreich) an die Arbeit zu gehen? Will man also den Gegensatz gebührend herausheben?

Andererseits stimmts ja aber, Jördis Triebel macht den ansonsten schon recht schönen Film »Emmas Glück« dann so richtig sehenswert.


Die etwas dralle und leicht absonderlich anmutende Emma lebt allein auf ihrem abgelegenen, heruntergekommenen und hochverschuldeten Bauernhof, wo sie mit ihren Schweinen anscheinend ebenso unbekümmert herumknuddelt, wie sie sie im nächsten Moment absticht, um sie zu Mettwurst zu verarbeiten. Ihr steht die Zwangsversteigerung ins Haus, Strom ist schon seit langem gesperrt, außerdem umwirbt sie der Dorfpolizist auf so lästige Art, dass sie ihn nur noch mit einer Schrotflinte im Anschlag empfängt, die sie im Zweifel auch abfeuert.

Max dagegen arbeitet als Autoverkäufer in einem Gebrauchtwagenhaus, wo es mit Rechnungen und Steuern nicht immer so ganz genau genommen wird. Als er erfährt, dass er Krebs (»im Endstadium«) hat, klaut er, die bisher eher graue Maus, seinem Chef die gut gefüllte Schwarzkasse und einen Luxuswagen, um damit nach Mexiko zu fliehen. Da will er seine letzten Wochen und Tage in der Hängematte beim Beobachten von Pelikanen zubringen.

Max kommt jedoch nicht besonders weit, sondern in der Nacht im Regen von der Straße ab. Landet nach einem spektakulär hingelegten Crash (Schnitt: Andreas Wodraschke, Stunts: Daniel Stockhorst) auf Emmas Hof direkt vor dem Misthaufen. Emma zieht den Ohmächtigen aus dem Auto und trägt (nein, nicht: »schleift«!) ihn erstmal ins Haus. Dann durchsucht sie das Auto und findet dabei das viele schöne Geld, das ihre Sorgen mit einem Schlag aus dem Weg räumen könnte.


Natürlich entwickelt sich daraus eine Liebesgeschichte; natürlich gibt es weitere Verwicklungen; Katz-und-Maus-Spielereien um den Mann, der nicht da sein dürfte, wo er gerade ist, und um das Geld; nicht zu reden von dem Auto oder vom Dorfpolizisten Henner (gespielt von Hinnerk Schönemann, der bisher im Kino auch nicht viel von sich reden gemacht hat, was sich aber jetzt dann wohl ändern könnte. Zu wünschen wärs ihm). Aber das schaue man sich in dieser entzückenden und mal drastisch, mal ausgesprochen zärtlich erzählten Tragikomödie lieber selber an.

Dieser Film ist nämlich wirklich wieder mal ein ziemlich Guter. Wie gesagt: nicht zuletzt wegen der Hauptdarstellerin Jördis Triebel, die selber sagt, dass ihr die Rolle der »Emma« viel Spaß gemacht habe, allein schon deshalb, weil sie in Sachen Maske vor Drehbeginn nicht in irgendeinen Schminkraum musste, sondern mehr sich im Dreck wälzen konnte und die Achselhaare mal wieder wachsen lassen. – Dieser Spaß an der Rolle ist ihr anzusehen. Triebel scheint die Emma nicht »nur« zu spielen, sie lebt sie quasi. Wie scheinbar routiniert sie Schweine absticht und (wirklich!) zerlegt, in deren Gekröse rumwühlt, um Max eine Bauchspeicheldrüse zu zeigen; wie gefühlvoll sie auf Emmas wackligen Moped zum Ersatz körperlicher Erfüllung reitet, so gar nicht für Voyeure eingestreut, sondern nahezu zärtlich geschrieben und abgefilmt (Kamera: Daniela Knapp, z.B. »Die fetten Jahre sind vorbei«) und von der Triebel herrlich umgesetzt.

Doch, die Frau ist klasse.


Etwas dahinter zurück bleibt dabei jedoch Jürgen Vogel in der Rolle des Max. Dem sonst vor allem auf Prollo-Rollen abonnierten Kraftprotz mit den schiefen Zähnen ist die Rolle des Krebsleidenden trotz einiger sehr beeindruckender Kotz-Szenen und Schmerzkrümmungen nicht so völlig abnehmbar. Oder wollte der etablierte Star der Newcomerin nur nicht die Schau stehlen und hat sich deshalb absichtlich zurückgehalten? Einen besseren Partner für Jördis Triebel (womit es in Sachen Lobhudelei für die wirklich herausragende Leistung dieser Frau dann auch genug sein soll) hätte es bei dieser Figurenkonstellation vielleicht wohl wirklich nicht gegeben.

Bei der Gelegenheit sei übrigens (noch-)einmal eine Lanze für deutsche und überhaupt alle »Casting«-Leute gebrochen: Rollen in einem Film gut und stimmig zu besetzen, das ist eine mittelmäßig sauschwere Arbeit. Wer dazu mehr wissen möchte, schaue sich bitte Veit Helmers Film »Behind the Couch« an, wenn der mal im Kino oder auf dem Fernsehsender des Vertrauens gezeigt werden sollte. Da gehts zwar um Hollywood, und dort ist das alles »ganz anders«, wie ja alles in Hollywood ganz anders ist als sonstwo auf der Welt. Dennoch. Und Hut ab vor der Casting-Arbeit von Simone Bär für »Emmas Glück«!


Bleibt zu erwähnen: das Drehbuch nach dem Roman von Claudia Schreiber stammt über weite Strecken von Ruth Toma, die auch schon bei anderen, ähnlich märchenhaft anmutenden Dingen wie z.B. »Erbsen auf halb sechs« (siehe dort) am Buch mitgearbeitet hat. Wer die »Erbsen« gesehen hat, wird ihre Handschrift wohl hier wiedererkennen.

Und wie in den »Erbsen« darf man auch hier nicht allzu penibel auf irgendwelchen Realismus schielen wollen. Wir haben es hier nämlich trotz blutig geschlachteten Schweinen, allgemeinem bäuerlichem Dreck, Krebs, Einbruchdiebstahl und künstlichen Orgasmen mit märchenhafter Poesie zu tun. Man muss diese zärtliche Poesie nur zu sehen verstehen, dann erkennt man sie auch.