Webwecker Bielefeld: Erbsen01

Wenn man plötzlich blind im Regen steht



Von Harald Manninga



Blinde, so sagt man, bilden die anderen vier Sinne besonders aus, um in der Welt so zurechtkommen zu können wie die Sehenden. Im neuen Film von Lars Büchel bekommt auch der Zuschauer einiges davon mit, zum Beispiel durch eine Tonspur, die an Klarheit und Ausdruck ihresgleichen sucht. Und das ist nur eines der Highlights in dieser hinreißenden Tragikomödie.


Bei einem Autounfall verliert der Theaterregisseur Jakob Magnusson das Augenlicht. Und verfällt sofort in so gut wie alle Lehrbuchklischees, die man von einem plötzlich Erblindeten erwarten kann, zumal wenn er so ein Augenmensch ist wie ein Theaterregisseur. Der verdient ja mit Formen, Farben und Bildern auf der Bühne seinen Lebensunterhalt, und lebt außerdem vom Anweisungengeben und was der Dinge mehr sind, die ein Regisseur so tut. Jakob kann das alles plötzlich nicht mehr, er wird bitter, zynisch, will sich nicht helfen lassen, eckt bei jedem Mitmenschen und an jeder Tischkante an, hadert mit sich und allem, kann kurzum sein »Schicksal« nicht akzeptieren. Er will sich gar das Leben nehmen.


Bevors aber allzu klischeehaft wird, gibts dann auch schon mal eine Prise grotesker Komik, denn sein Sturz vom Dach eines Hochhauses endet, statt in einer Blutlache auf dem Trottoir, im Erdbeerkuchen einer Rentnerin im Café auf der Terasse einen Stock tiefer. Ist klar: Wenn man nicht sehen kann, wo man hinspringt, muss man mit sowas rechnen, aber das geht eben nur, wenn man gelernt hat, mit seiner Blindheit entsprechend umzugehen.


Das sieht er nach dem missglückten Suizidversuch auch mühsam halbwegs ein und lässt sich jetzt beim Lernen von Lilly ein bisschen helfen. Lilly ist eine geburtsblinde junge Frau, die zwar mit ihrer Blindheit blendend zurechtkommt, dafür aber an einem anderen Gebrechen leidet, nämlich der Überbehütung durch die alleinerziehende Mutter und den Freund.


Drittens lebt Jakobs Mutter irgendwie als Künstlerin in Russland und ist todkrank. Jakob hat schon lange ein schlechtes Gewissen, weil er sich so lange nicht mehr bei ihr hat blicken lassen, und möchte sie vor ihrem Tod aber doch noch einmal – naja: sehen geht ja nun nicht mehr, aber was dann kommt. Also macht er sich auf, sie zu besuchen, immer mit Lilly im Schlepptau ,die anfangs nur unfreiwilig mitkommt.


Das wiederum versetzt Lillys Freund und ihre Mutter in helle Aufregung, denn das geht ja nu nicht, dass zwei Blinde einfachso auf Reisen um den halben Globus gehen, was da alles passieren kann... Also machen sie sich ihrerseits auch auf den Weg, um die Entlaufenen wieder einzufangen.


Und dann gibts da noch Lillys kleine Schwester, die sich grade im »kritischen Alter« befindet und die Gelegenheit der allgemeinen Abwesenheit nutzt, um die Sache mit den Blumen und den Bienen endlich auch mal praktisch zu probieren.


In der Tat, das ist ein bisschen viel an Handlung(en), die hier geboten werden. Die Handlungsstränge und –fäden sind außerdem einigermaßen absehbar und klischeehaft gezwirbelt, selbst die Frage »Kriegen sie sich am Ende?« ist eigentlich keine, und auch die Muschiks in der russischen Pampa sind genau so, wie man sich das immer vorgestellt hat: arm aber gastfreundlich und leicht skurril, außerdem fallen ihnen ihre Überlandbusse alle paar Kilometer auf dem Feldweg auseinander. In dieser Hinsicht unterscheiden sich russische Pampa und afrikanische Steppe bekanntlich ja nur graduell. Gar wie man ohne Geld und vor allem ohne Pass und Visum mal einfachso nach Russland kommt, das bleibt eher geheim, von anderen Unglaubwürdigkeiten gar nicht erst zu reden.


Diesen »Schwächen« im Drehbuch, so sie denn welche sind, steht aber Vieles gegenüber, das sie mehr als wettmacht.