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Kostenexplosion ist eine Erfindung (30.11.2004)
Bontrup: Profite lassen die Gesundheitsausgaben steigen
Bürgerversicherung, Kopfpauschale, Gesundheitsreform. Viele Begriffe werden rund um das Gesundheitswesen ins Spiel gebracht. Alle haben ein Ziel: Das Gesundheitswesen umzubauen. Heinz Bontrup, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Gelsenkirchen, war am vergangenen Donnerstag auf Einladung von ver.di im Triebwerk, um Licht in den Dschungel der Begrifflichkeiten zu bringen.
Von Manfred Horn
Für Bontrup, der auch Mitglied der Memorandum-Gruppe ist, die alljährlich ein alternatives Wirtschaftsgutachten zu dem der sogenannten »Fünf Waisen« vorlegt, ist die zu Beginn des Jahres von der Bundesregierung umgesetzte Gesundheitsreform, die der Normalsterbliche spätestens bemerkt, wenn er mal wieder zehn Euro Praxisgebühr abdrücken muss, sozial unausgewogen. Von den gut zehn Milliarden Euro, die alleine in 2004 im Gesundheitssektor eingespart werden, tragen abhängig Beschäftigte alleine 8,5 Milliarden. Die Arbeitgeber hingegen würden sogar entlastet. Und die Pharmaindustrie hat lediglich für 2004 einen Rabatt von einer Milliarde auf ihre Produkte zugestanden, ab Januar macht sie wieder den gleichen Profit wie vorher.
Die politisch vorherrschende Diagnose: Die Kosten im Gesundheitsbereich sind explodiert, der medizinische Fortschritt verteuert die Ware Gesundheit. Und dann der Aufschwung: Die paritätische Finanzierung, die besagt, dass bei Arbeitnehmern die Hälfte der Krankenkassenbeiträge vom Arbeitgeber zu entrichten ist, gefährde die Entwicklung der Wirtschaft.
»Steter Tropfen höhlt den Stein«, sagt Bontrup dazu. Die Argumente, die Arbeitgeber vorbringen, würden durch ihre permanente Wiederholung nicht richtiger. Die Innungskrankenkasse hat es vor kurzem ausgerechnet: Selbst wenn der Beitragssatz um zwei Prozent steigen würde, wäre die Mehrbelastung für Unternehmen nur 0,001 Prozent. Mit anderen Worten: Ein Produkt der Firma würde 1001 statt 1000 Euro kosten. »Da kann ich kein Wettbewerbsproblem erkennen«.
Bontrup schlägt die umgekehrte Perspektive vor: Ein Absenken der Lohnquote, indem die Löhne niedriger werden oder eine weitere Entlastung der Arbeitgeber bei der Finanzierung der Krankenkassen führe zu noch mehr Arbeitslosigkeit und zu einer noch schwächeren Binnenkonjunktur. Das einzige was dann steigt, ist die Gewinnquote der Unternehmen. »Wir brauchen da ein radikales Umdenken«, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Sinkende Einnahmen durch Kürzung der Ausgaben ausgleichen? Dies hält Bontrup für grundlegend falsch. Das Gesundheitswesen haben vielmehr ein Einnahmeproblem. Die Einnahmeseite ließe sich aber beispielsweise durch höhere Löhne stärken. Hypothetisch gedacht: Bei tatsächlich paritätischer Finanzierung und Vollbeschäftigung würde niemand über Kostenprobleme im Gesundheitsbereich sprechen.
Er räumt auch mit einigen weit verbreiteten Meinungen auf: So seien die Kosten im Gesundheitswesen überhaupt nicht explodiert, wie gerne immer wieder behauptet wird. Vielmehr seien die Kosten seit Mitte der 1970er parallel zum Bruttoinlandsprodukt gewachsen: rund zehn Prozent der geldlich bewerteten Leistungen der Bundesrepublik fließen konstant in den Gesundheitssektor. Nur Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) habe Anfang der 1970er für drei Jahre die Ausgaben in dem Bereich erhöht, weil er richtigerweise ein schlechtes Gesundheitssystem feststellte. Schon sein Nachfolger Helmut Schmidt (SPD) begann mit dem Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung, weil damals erstmalig Zuzahlungen erhoben wurden, die ausschließlich die Patienten bezahlen mussten.
Kostenexplosion ist eine Erfindung (Teil 2)
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