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Frauen in der Festung (24.05.2006)





»(K)ein Ort«: Mit einem Sarg symbolisiert die Bielefelder Künstlerin Raphaela Kula das jähe Ende eines jungen Lebens einer Migrantin




Das Frauenkunstforum Owl (fkf) eröffnete in der vergangenen Woche die Ausstellung »Zwischen den Kulturen – migrARTE I‹. Im Erdgeschoss des Alten Rathauses sind noch bis zum 19. Juni Arbeiten von Künsterlinnen mit und ohne Migrationshintergrund zu sehen. Die Bilder und Installationen werfen dabei vor allem einen Blick auf das Leben nach der Flucht. Was passiert mit den Menschen, die es in die Festung Europa geschafft haben?



Von Manfred Horn

Eingestimmt durch die Musik der Argentinierin Graciela Medina und ihrer Band Las Cuerdas, beschäftigte sich bei der Eröffnung die Soziologin Barbara Jantzen mit der Frage, ob es kulturelle Brückenbauerinnen gibt. Jantzen kennt sich aus: Sie war fünf Jahre lang Geschäftsführerin des Lateinamerikazentrums in Münster. Kultur sei all das, was Menschen schaffen, stellte Jantzen heraus. Und: Kultur steht in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft. Damit ist Kultur sozial eingebunden. Kultur, Staat und Nation würden oft als eine Einheit konstruiert, dies gehe zu Lasten einer kulturellen Vielfalt. Jantzen interessiert sich vor allem um für Kulturen, die quer liegen zur staatlich gewünschten Einheitskultur. »Die Vielfalt der Kulturen ist durch die Globalisierung ins Bewusstsein gerückt«, hebt sie hervor. Das findet Jantzen im Prinzip gut, sie sieht aber auch die Fußangeln. So ist die Kulturarbeit weltweit der Globalisierung unterworfen. Produziert wird für die Märkte der ersten Welt, die gibt auch vor, was angesagt ist.


Sprung hinter die Mauer

Durch die Globalisierung entstünden aber auch transnationale Kulturräume. Neue Zusammengehörigkeitsgefühle würden generiert, sagt Jantzen. Dabei seien die transmigrantischen Künstlerinnen privelegiert: Sie haben die Reise geschafft, den Sprung hinter die Mauer, die die reichen Staaten umgibt. Irene Below vom fkf erzählte anschließend, wie die Ausstellung im Rathaus zustande gekommen ist: Das fkf begab sich auf die Suche nach in OWL lebenden Künsterlinnen mit Migrationshintergrund, über 40 sind schließlich zusammengekommen. Dass die Ausstellung nun im Bielefelder Rathaus gezeigt werde, sei besonders passend. »Hier wird durch das Interkulturelle Büro, aber auch in anderen Bereichen – viel für die Zugewanderten getan – von der Aufenthaltsbewilligung und der Arbeitsplatzsuche bis zu Wohnungs- und Visaangelegenheiten. Hier entscheidet sich oft, ob und wie lange die hier Rat und Unterstützung Suchenden bleiben können«.

Wer also in den kommenden Tagen und Wochen in das Alte Rathaus kommt, wird zunächst einen Sarg sehen: Er sorgte vor der Eröffnung für einige Aufregung bei den Mitarbeitern des Rathauses. Jemand hatte das Transparent, das unter dem Sarg liegt und auf den »Folterstaat Türkei« verweist, hervorgezogen. Zufällig war zu dem Zeitpunkt gerade eine Wirtschaftsdelegation aus der Türkei im Haus. Geschaffen wurde die Installation von der Bielefelder Künstlerin und Aktivistin Raphaela Kula. Sie nennt ihre Installation – auf dem Sarg liegt unter anderem ein Haufen Tablettenschachteln – »(K)ein Ort«.

Die Künstlerin erklärt, dass die Arbeit reale Wurzeln habe. Es gehe um die Würdigung eins noch ungelebten Lebens einer jungen Migrantin. Die hat Selbstmord begangen. Die Arbeit bezieht sich konkret auf die Kurdin Dilek, einer Freundin von Raphaela Kula. Dilek war 19 Jahre jung – und sah nur noch einen Ausweg: Die Selbsttötung. Dilek war in Bielefeld im Wanderkirchenasyl – die Kirche war der letzte Ort der von Abschiebung bedrohten Kurdin. Eine von vielen, die mit der Stresssituation als nicht-erwünschte Person in Deutschland nicht klar gekommen ist.





Sorgten für gute Stimmung: Die Band Las Cuerdas