Charles Lewinskys neuer Roman bearbeitet die Geschichte der jüdischen Familie Meijer, die, so der Klappentext, das Glück hatte, Schweizer Juden zu sein, »nur glücklich hatte man sie nicht werden lassen.« Die komplexe Geschichte der Familie, deren j im Meijer sie nicht nur symbolisch zu Außenseitern macht und wie ein sichtbares Zeichen, ein Stigma für ihr Judentum steht, beginnt 1871 am Ende des deutsch französischen Krieges.
Im kleinen Endingen, ein typisch jüdisches Dorf, scheint die Welt zu diesem Zeitpunkt noch in Ordnung zu sein. Da steht eines Tage ein entfernter Verwandter vor der Tür, Janki, der nach höherem strebt und scheinbar die Veränderungen und Unruhen heraufbeschwört. Allerdings gibt es auch eindeutige gesellschaftspolitische Entwicklungen in der behaglichen Schweizer Gesellschaft, die ihre jüdischen Mitbürger mehr und mehr ausgrenzen, wie z. B. das Schächtverbot, das 1893 in Kraft tritt.
Auch davon ist ein Angehöriger der Familie ernsthaft betroffen, der Metzger Pinchas: er muss diesen traditionellen Beruf aufgeben. Die Meijers streben nach Anerkennnung, beruflicher Erfolg stellt sich ein, das größte und modernste Warenhaus der Stadt Zürich, ein unvergleichbares Aushängeschild, ist ihr Projekt.
Doch trotz Taufe und Auslöschung des störenden Buchstaben »j« aus dem Namenszug, trotz zahlreicher guter Kontakte in die Creme der bürgerlichen Gesellschaft, bleibt ihnen die gesellschaftliche Achtung verwehrt. Charles Lewinky, 1946 geboren und in der Schweiz und Frankreich lebend, erzählt detailliert die Geschichte dieser Familie über vier Generationen hinweg.
Das Familienepos endet 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, ein Teil der Familie, der in Deutschland lebte, ist Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik geworden. Lewinsky gelingt es, das jüdische Alltagsleben seiner Hauptpersonen in ihrer Zeit zu erfassen, die Leser und Leserinnen daran teilhaben zu lassen.
Geschickt ist sicherlich die Wahl der neutralen Schweiz als dramaturgischer Ort, denn dort wird weniger Antisemitismus vermutet. Viele kleine Anekdoten und Geschichtchen sind in dem Roman aufgegriffen und in der Entwicklung der Familiengeschichte verarbeitet. Zwar machen sie eindeutig im Roman den Antisemitismus und die praktischen Ausgrenzung der Schweizer Juden und Jüdinnen deutlich, sind aber sehr breit angelegt und wirken zu klischeehaft, das gilt auch für die Hauptfiguren, die zwar in ihren Charakteren äußerst unterschiedlich angelegt sind, aber nicht wirklich lebendig und eigenständig wirken. Das macht es mitunter schwer, sich wirklich auf diesen sehr breiten Roman einzulassen. Gelungen ist der lakonische, trauernde Ton, der sich durch den Roman zieht und allem Bemühen eine mitunter verzweifelte Grundlage gibt. Vielleicht hätte eine Straffung der an sich klugen Geschichte gut getan.
Charles Lewinsky, »Melnitz«, Nagel und Kimche, 2006, 772 S., 24,90 Eurobuch_eulenspiegel@gmx.de per Mail bestellen]