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Ein Heim als Heimat (22.02.2006)
Monika W: Was die Bewohner ihr nicht erzählen, flüstern sie in Pferdeohren. Foto: Werner Krüper
Sie war erst neun Jahre alt, als die Mitarbeiterinnen vom Jugendamt in ihre Schule kamen, um sie abzuholen. Monika W.* und ihre zehn Geschwister wurden in Kinderheimen untergebracht. Die kleine Monika kam zunächst in ein Heim in Lippe, doch als dies schließen musste, wurde sie ins heilpädagogische Kinderheim Grünau in Bad Salzuflen gebracht, eine Einrichtung des Evangelischen Johanneswerks. Wieder wurde sie aus einer gewohnten Umgebung herausgerissen. Damals hat sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Heute sagt die inzwischen 40-Jährige: »Grünau ist Grundstein meines ganzen Lebens«.
Alkohol, Vernachlässigung, ein gewalttätiger Vater für das Kind Monika war das normales Familienleben. Erst in Grünau lernte sie respektvollen Umgang miteinander, Regeln und Grenzen gesetzt zu bekommen, diese einzuhalten und Verantwortung zu übernehmen. Vor allem lernte sie, dass Kinder sich auf Erwachsene verlassen und ihnen vertrauen können.
»Die Erzieher haben mich durch die Schule gebracht«, erzählt Monika W. Vorher habe sie oft den Unterricht geschwänzt. »Jetzt gab es auf einmal Strafarbeiten für jede geschwänzte Stunde, zum Beispiel Gartenarbeiten. Das hat mir natürlich überhaupt nicht gefallen«.
Aber gewirkt hat es. Monika W. machte ihren Schulabschluss und hatte anschließend doppeltes Glück: Sie bekam in Grünau eine Stelle als Auszubildende im Bereich Hauswirtschaft angeboten und wurde anschließend übernommen. Sie arbeitete in der Heimküche, bis sie 1996 das Angebot von der Einrichtungsleitung bekam, in einem Team von sozialpädagogischen Fachkräften mitzuarbeiten. In einer sogenannten Verselbstständigungsgruppe bereitet sie sechs Jugendliche auf ein eigenständiges Leben vor.
Trotz professioneller Betreuung und Therapie haben die meisten Kinder und Jugendlichen dort noch einen langen Weg vor sich. Aggression und Gewalt sind ihre Form, auf sich aufmerksam zu machen sie haben es oft gar nicht anders gelernt. Motorisch und sprachlich sind sie häufig in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, Folgen der jahrelangen Vernachlässigung.
Therapie auf dem Pferderücken
Monika W. entdeckte in Grünau beim heilpädagogischen Voltigieren auch ihre Liebe zu Pferden. Sie machte einen Trainerschein im Voltigieren und arbeitet heute schwerpunktmäßig im Reittherapeutischen Bereich.
Viele ihrer Schützlinge wollen über ihre traumatischen Erlebnisse nicht sprechen, geben sich sogar selbst die Schuld. Auch wenn sie in Grünau eine bessere Welt kennen gelernt haben, ist der Drang, die Eltern zu beschützen, groß. Nur Samson können sie alles anvertrauen. Kein Wunder, ist Samson doch ein Pony, bei dem alle Geheimnisse sicher verwahrt sind. Seine vierbeinigen Kollegen und er ertragen es geduldig, wenn die Kinder unter der Anleitung von Monika W. auf ihren Rücken voltigieren. Die Kinder lernen, Balance zu halten, bekommen ein besseres Gefühl für ihren Körper, bauen Ängste ab und lernen Vertrauen zu dem Tier und dem Pädagogen zu fassen.
Hyperaktive Kinder liegen am liebsten bewegungslos auf dem Pferderücken, aggressive Kinder können es kaum erwarten, mit Samson zu kuscheln: »Die Erfolge, die wir mit der Reittherapie erzielen, sind enorm«, begeistert sich Monika W. Besonders gern erinnert sie sich an ein junges Mädchen, das sich selbst die Strafe auferlegt hatte, mit keinem Erwachsenem zu sprechen. So stellte sie sicher, dass niemand sie dazu bringen konnte, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Doch dem Pony hat sie innerhalb kürzester Zeit alles erzählt. Ein wichtiger Schritt hin zu einem normalen Leben.
Ein Heim als Heimat (Teil 2)
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