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Der Menschenfeind (25.01.2006)





Im Infight: Celimente (Christina Huckle) Arisinoe (Carmen Priego). Alle Fotos: Philipp Ottendörfer


Von Manfred Horn

Dem Schauspieler im Besonderen dürfte das Stück durchaus nahe liegen: Auch ihm wird auf die Wange geküsst und seine hohe Kunst gelobt. Doch wer weiß, was der geschmeidige Verehrer über diesen gerade noch sichtlich geschätzten Menschen hinter der nächsten Ecke erzählt?

Am Freitag hatte die ›Der Menschenfeind‹ von Moliere Premiere im Theater Bielefeld. Und um es gleich vorwegzunehmen: Herausgekommen ist eine äußerst sehenswerte Inszenierung. Moliere, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das Theater Frankreichs veränderte, schließlich Günstling des Königs Ludwig des XIV. wurde und die Heuchelei in den adeligen Kreisen bestens kannte, gelang mit ›Der Menschenfeind‹ 1666 ein großer Erfolg. Wie für Moliere üblich, schrieb er nicht nur das Stück, sondern besetzte auch gleich die Hauptrolle des Alceste selbst.

Satte 350 Jahre später hat das Thema der Heuchelei nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Fast könnte man meinen, es handele sich um eine menschliche Konstante. In der Inszenierung von Christian Schlüter, der in Bielefeld zuletzt Gerhart Hauptmanns ›Die Weber‹ auf die Bühne brachte, spielt Thomas Wolff, diesmal mit Perücke und Minischnäuzer, den Alceste. Dass er dabei glänzt, ist in Bielefeld wahrlich keine Überraschung mehr. Alceste ist dabei der menschliche Menschenfeind: Menschlich, weil in seiner Art, sich über- und außerhalb des verlogenen Treibens zu stellen, nur allzu bekannt. Alceste gibt vor, hemmungslos ehrlich zu sein.

Doch wo setzt die Ehrlichkeit ein? Auf welcher Ebene des Bewusstseins ergibt sie ein identisches Bild zwischen Denken, Sprechen und Handeln – die Voraussetzung für das Prädikat ›ehrlich‹? Alceste verabscheut das schmierige Pack, dass an den Höfen ein- und ausgeht, schlechte Verse und Parfüme verbreitet und sich doch für den Höhepunkt der Welt hält. Er will nichts gemein haben mit denjenigen, die heute Hüh und morgen Hot sagen, deren Körpermasse allein einem ständig wachsenden Opportunismus geschuldet zu sein scheint und deren Goldkettchen nur die Falschheit der Worte spiegeln.

Und doch, würde Alceste tiefer schauen, würde auch er bemerken, dass er längst zum Teil des Spiels geworden ist: Denn seine unerfüllte Liebe zu Celimente mag zwar rein sein. Doch mit ihr begehrt er jemand, deren größte Kunst im besonders vollkommenen Spinnen von Intrigen und Lügen besteht. Alceste muss den Widerspruch spüren, doch er bleibt dabei, ganz als sei es ein Glaubenssatz, der vom tiefsten Herzen kommt: Er liebt Celimente. Die allerdings unternimmt aber auch gar nichts, was seine Liebe rechtfertigt. Sie bleibt flüchtig, eine vollkommene Skizze in Alcestes Kopf.


Sich selbst zum Feind

Alceste entwirft lara-craft-geleitet sein Ziel selbst, und übersieht dabei geflissentlich die reale Person, auf die sein Begehren zielt. Da hilft auch kein Wimmern, Biegen und Brechen: Celimente ist zwar eine Hübsche, der irgendeine höhere Instanz gerade genug Schmalz ins Hirn geschmiert hat, damit sie sich den edlen Teppichen der gehobenen Gesellschaft so bewegen kann, dass ihr die Männer hinterhertrollen. Aber die, die Alceste anbetet, ist sie nicht. Was den Schluss zuließe, dass Alceste, der Menschenfeind, schließlich und endlich sich selbst – oder die Oberflächlichkeit seines Denkens – zum größten Feind hat. In seiner verzweifelten Liebe zu Celimente und der gleichzeitigen Ignoranz gegenüber Frauen, die ihn mögen, zerbröselt seine überlegene Moral wie ein Haufen von Würmern zersetzter Holzbretter.