Webwecker Bielefeld: sterne01

Zum Greifen zu nah (01.02.2006)





Foto: Philipp Ottendörfer



Von Manfred Horn

Vier Freunde und ein Baum und zunächst eine Nacht. Die Freunde blicken in die Sterne, die da oben gelangweilt und kontaktlos herumhängen. Der Blick in die Sterne zeugt von Romantik, von Offenheit. Und doch sehen die vier in ihnen nicht mehr als ein Spiegelbild ihrer eigenen, tristen Situation. Ihnen fällt nichts mehr ein, und so greifen sie selbst nach den Sternen, wollen sich ihren eigenen, lebendigen Sternenhimmel machen. Schlucken die Sterne, bewusstseinserweiterende Drogen, die auf der Zunge vergehen oder doch nur Zitronen-Melisse?

Susann, dargestellt von Claudia Mau, geht zum Apfelbaum und erhängt sich. Das hat Folgen. Susann taucht im Off auf, spricht, kommentiert, gibt Regieanweisungen. Sie ist weiter präsent, und die verbliebenen drei sind nicht mehr länger Freunde. Kalle (Matthias Beitmann) war zuvor mit Jana (Viola Pobitschka) zusammen, sie trägt ein Kind von ihm in ihrem Bauch. Doch nun entscheidet sie sich für Anton (Sebastian Thrun), der zuvor mit Susann eine Beziehung hatte. Kalle liefert nun Pizza und Anton streift an Janas Beinen herum.

Alles sortiert sich neu – doch warum? Das Stück »Sterne« von Anja Hilling vermeidet es, Antworten zu geben. Der Tod Susanns bleibt bis zum Schluss ein Rätsel, genauso wie die weitere Handlung. Die Sprache ist äußerst knapp, aber nicht zwingend präzise. Nun könnte man meinen, dass zwischen den Sätzen so einiges passiert. Doch Fehlanzeige. In der Inszenierung von Daniela Kreuz, der aus Bielefeld stammenden Regisseurin, sind die Emotionen und Handlungen so ziemlich auf Null heruntergefahren. Anton hat die Arschkarte gezogen, er war ein bisschen zu lange im Sonnenstudio und würde auch in einer Telenovela durchgehen. Er sagt, er leidet am Tod Susanns. Sichtbar wird das nicht. An der Oberfläche stellt sich dies ganz anders dar: Susann ist tot, dann baggere ich doch die Jana an. Nur den Kaugummi darf die neben seinem Bett nicht da hinkleben, wo Susann dies immer tat.


Keine Bohrlöcher

So bleiben die Figuren ohne Tiefgang. Sie haben keine Einbettung, außer dass sie irgendwie jung sind und – vielleicht – von Sternenstaub bedeckt. Woher sie kommen, wohin sie gehen, was in ihnen brodelt? Fragen über Fragen. Das Stück zeigt die Sternenoberfläche, vermeidet aber tunlichst das, was jeder Weltraumforscher tun sollte: Eine Bohrung vorzunehmen.

Zur Inszenierung passt das Bühnenbild von Tobias Schunk hervorragend. Im intimen TamZwei hat er auf ausschweifende Requisiten verzichtet. Alles spielt sich auf einer Bühne aus Spanplatten ab. Die Ereignisse werden in Form von Abziehbildern an die Wand geklebt. Wenn da ein Nutella- und ein Gurkenglas kleben, ahnt der Zuschauer: Jana will ihr Kind wohl doch behalten. Und an der Spanplattenwand kann man so das ganze Stück zurückverfolgen, denn jede Szene hat ihr abgezogenes Symbol hinterlassen.

Ein Bilderbogen ergibt sich so, der sich auf der Bühne nicht recht einstellen will. Das Stück ist zweifelsohne sehenswert, die schauspielerischen Leistungen ansprechend, die Dramaturgie stimmig. Das Problem liefert die Vorlage von Anja Hilling. Sie verliert sich in Andeutungen und offenen Flächen – und die knappe Sprache schafft die Verdichtung nicht. Nichts also für Menschen, die tieferliegende Fragen oder Antworten suchen oder sich von einem übersprühenden Bilderbogen inspirieren lassen wollen.


Weitere Aufführungen: 1./2./15./16./24. Februar, jeweils 19.30 Uhr.
Mehr Informationen: www.theater-bielefeld.de