Webwecker Bielefeld: ostmann02

Durchs Viertel streifen (Teil 2)






So fallen aus luftiger Höhe vom Ostmannturm Gewürztaler auf den Platz herab, auf dem tanzende Kinder stehen und versuchen, mit ihren Schürzen die Taler zu fangen und ans Publikum zu verteilen. Oder Marcel Barros bringt Schaukeln und Metallstäbe zum schwingen und klingen. Und dies durchaus mit Hintergrund: Der Sport- und Spielplatz an der Hanns-Biseggerstraße ist seit Jahren gesperrt, weil sich Anwohner in ihrer Ruhe gestört fühlen. Dabei ist die Anlage bis heute gut intakt. Um das Paradox eines gesperrten Spielplatzes deutlich zu machen, spannten sich am Samstag auf Brusthöhe dünne Fäden über den roten Sportbelag – den geführten Besuchern blieb nichts anderes übrig, als drunter her zu klettern. Mitten im benachbarten Sandkasten tauchte dann eine Cello-Spielerin auf, während im Hintergrund ein Kind die Gunst der Stunde nutzte und das tat, was sonst verboten ist: rutschen.

Das geniale hier wie anderenorts während der Stadtpassagen: Immer wieder mischen sich Kinder und Jugendliche aus dem Viertel ein. Sie verstehen Kunst nicht als hohes Gut, zu dem zwecks abwägender Betrachtung Abstand gewahrt werden muss, sondern mischen mit. Ohne aufgefordert zu werden, werden sie plötzlich teil der Szene, ergänzen die vorher wohlfeil überlegte Choreographie auf spontane und unberechenbare Weise. Als Franko Frankenberg seine riesigen Gongs anschlägt, stehen zwei Kinder daneben und fragen: »Warum muss das so laut sein?«. Sie halten sich die Ohren zu, versuchen sich an einer Trommel und müssen vom Künstler dezent in ihre Schranken verwiesen werden. Denn das geht dem Künstler dann doch zu weit. Der enorme »Krach« – in der Wahrnehmung der Kinder – lässt sie schließlich einige Meter zurücktreten.

Was bei musikalischen Darbietungen durchaus schon mal zu Schwierigkeiten führt, ist anderenorts willkommen. Als auf dem Bolzplatz am Generotzkyweg vier Frauen zu tanzen beginnen, verharren die Jugendlichen nur kurz, bis sie einfach mitmachen. Sie ahmen die Bewegungen nach und werden so selbst Teil der Performance. Ein vitales Gesamtbild entsteht, einige Zuschauer fragen: »Ist das so geplant?«


Alltägliche Kunst

Immer wieder brechen sich alltägliche Handlungen der Stadtteilbewohner während der Szenen ihren Weg: Als bei einer Modenschau auf einer gelb gezäunten Rampe, die vor allem durch besondere Hüte glänzt, eine Muslimin mit Kopftuch die Schräge hinunterwandelt, wird deutlich: Die geht da jetzt einfach runter, die ist gar nicht im Programm. Aber sie schreitet voran, weil es ihr Lebensraum ist – oder weil sie vielleicht Teil des Spektakels sein will.

Einige Bewohner brachten sich kreativ ein, andere schauten zu: Entweder als Teil der geführten Gruppen oder vom Balkon aus. Aber auch die Spezies der ›Hinter der Gardine gucken ist angebracht‹ war zahlreich vertreten. Insofern waren die Passagen einfach normal: Dazu gehört auch der fahrradparkende ältere Mitbürger, der ob der Darbietungen nur stumm seinen Kopf schüttelte oder der jüngere BGW-Bewohner, der mit offener Balkontür seine Musik gegen die kurdische im Innenhof setze, weil ihm die ganze Veranstaltung ziemlich auf den Keks ging.

Die, die mitgingen, lernten ihr kleines Viertel vor allem geographisch besser kennen: Führte die Rundreise doch durch Hinterhöfe, Sportplätze, leerstehende Gebäude oder die Tiefgarage. An den Orten entstanden Handlungen, wie sie so vorher im Viertel noch nicht zu sehen waren. »Wir sind sehr zufrieden. In diesem Jahr machten noch mehr Bewohner aus dem Viertel mit als in den vergangenen Jahren«, freute sich BGW-Mitarbeiter Stede und versprach: »Wir werden die Stadtpassagen weiterhin unterstützen«.