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Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 1 Die Organisation des Terrors. (Teil 2)



Kurt Pätzold setzt sich mit der Problematik des Begriffes »Häftlingsgesellschaft« auseinander: gemeint sind die in ein KZ deportierten und dort internierten Menschen. Alle typischen Merkmale gesellschaftlicher Gruppen waren auch dort anzutreffen: »Herrschaft und Unterordnung, Arbeit und Ausbeutung, Organisiertheit und Spontaneität, Ordnung und Chaos, Privilegien und Benachteiligung, Sattheit und Hunger, Vorteilsnahmen und Verbrechen von Bestechung und Korruption bis zu Denunziation, Diebstahl, Körperverletzung und Totschlag, aber auch gegenseitige Hilfe, Solidarität und Widerstand«. Die Verantwortung für die negativen Aspekte in dieser Zwangsgemeinschaft liege eindeutig bei den Machthabern, der SS, positive Verhaltensweise seien allein der Verdienst der Häftlinge.

Pätzold kritisiert, den sogenannten Funktionshäftlingen eine Position zwischen der befehlsgewaltigen und mächtigen SS und den Häftlingen zuzuordnen. Die Funktionshäftlinge seien ebenso wie alle übrigen Häftlinge recht- und schutzlos der SS ausgeliefert gewesen, zudem mache diese kleine Gruppe nur etwa einen Prozent der gesamten Häftlingsgemeinschaft aus. Die Rolle der Funktionshäftlinge bleibe zwiespältig, allerdings konnten sie in Zusammenarbeit mit z.B. illegalen, widerständigen Strukturen im Lager den Schutz einer, wenn auch kleinen, Gruppe von Häftlingen gewährleisten. In der chaotischen Phase der Befreiung bewährte sich mitunter diese Zusammenarbeit und Erfahrung und ermöglichte vielen Häftlingen das Überleben.

Barbara Distel beschäftigt sich mit den Frauen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, sowohl mit den Opfern als auch mit den Täterinnen. Sie schildert die Entwicklung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück und des Frauenlagers in Auschwitz Birkenau. Neuere Forschung führe das erschreckende Ausmaß an Gewalt und Demütigungen vor Augen, dem die inhaftierten Frauen durch männliche und weibliche Bewacher ausgesetzt waren. »Auch wenn sie zu geschlechtslosen Wesen degradiert werden sollten, waren sie immer wieder sexuellen Übergriffen von Seiten der Bewacher ausgesetzt«. Allein die Aufnahmeprozedur in einem Lager, für beide Geschlechter gleich, das Nackt-Ausziehen, das Scheren des Kopf- und übrigen Körperhaares, empfanden viele der Frauen als sexualisierten Übergriff.

Leider spricht sie das Thema der Zwangsprostitution, für die betroffenen Überlebenden ein großes Trauma, da sie auch nach 1945 aufgrund ihrer Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung kaum darüber sprechen konnten, nicht an. Viele der weiblichen Bewacherinnen wiesen nach dem Krieg jegliche Schuld und Verantwortung von sich, was aber in Frage gestellt werden müsse. Für die meisten dieser Frauen, die nach dem Krieg in der Anonymität verschwanden, stellte ihre Arbeit in einem KZ eine normale berufliche Tätigkeit dar. »Sie arbeiteten in ihren jeweiligen Positionen ebenso effektiv, rational und professionell wie ihre männlichen Kollegen daran, dass der Prozess der Vernichtung nicht ins Stocken geriet«, so Gudrun Schwarz in den Dachauer Heften10, 1995.