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Dach und Essen knapp (11.05.2005)





Nach dem Krieg wurde schnell und viel gebaut, doch die Zahl der Einwohner stieg noch schneller. Der Fotoband ist Teil der Ausstellung »In jenen Jahren...«, die im Stadtarchiv zu sehen ist



Von Manfred Horn

Für die Einwohner Bielefelds, sofern sie nicht überzeugte Nationalsozialisten waren, musste es nach dem 4. April 1945 irgendwie weiter gehen. Die Menschen waren erschöpft, zahllose Bombenalarme und die zusammenbrechende Ordnung hatten sie zermürbt.

Nach Kriegsende kamen viele Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten des Reichs in die Stadt, Evakuierte kehrten zurück. So schwoll die Einwohnerzahl bis 1947 wieder auf den Vorkriegsstand an. Dies führte zu zusätzlicher Not in der Stadt: Es gab viel zu wenig Wohnungen und zu wenig zu essen.

Die Ernährungsprobleme, insbesondere im Winter 1946/47, bekamen sogar einen ästhetischen Körper: So berichtet Monika Minniger, stellvertretende Leiterin des Stadtarchivs und wissenschaftliche Archivarin, von den Schauspielern des Stadttheaters, die auf der Bühne echte Schwächeanfälle und Ohnmachten erlitten. Sie gehörten zu denjenigen, die keine Verwandten auf dem Lande hatten, die sie mit Essbarem versorgten. Sie gehörten auch nicht zu denjenigen, die Tauschwaren hatten, die man auf dem Schwarzmarkt tauschen konnte. Auch wenn es ein wenig paradox klingt: Im März 1947, als der Hunger seinen Höhepunkt erreichte, gab es in 20 Bielefelder Betrieben Hungerstreiks gegen den Hunger.


Winterferien auf ein viertel Jahr verlängert

Ein weiteres Problem war die Kälte: Kohlen gab es kaum, zumal die wenigen Kohlezüge aus dem Ruhrgebiet regelmäßig bereits auf ihrem Weg entladen wurden. Menschen riskierten ihr Leben, um aus den Waggons ein paar Kohlen zu klauen, gefroren wurde überall in Deutschland. Die Bielefelder Schüler hatten so auch lange Winterferien: Ein Viertel Jahr durften sie zu Hause bleiben – es gab einfach nichts zum Heizen für die Klassenräume.

Auch die Wohnungsnot war gravierend. In den Jahren nach dem Krieg mussten sich 57.000 Parteien 35.500 Wohnungen teilen. Die Wohnungen unterlagen damals einer Zwangsbewirtschaftung, jeder Mietvertrag musste genehmigt werden. Die Baubranche kam erst langsam wieder in Schwung, verbaut wurden zunächst die Trümmer der zerstörten Häuser. Rainer Vogelsang, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs, rechnet vor, dass die Wohndichte in den Jahren nach dem Krieg verglichen mit 1939 um 84 Prozent höher war.

Bielefeld war eine der wenigen Städte, deren Einwohnerzahl 1947 schon wieder höher war als vor dem Krieg. Alleine 33.000 Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten kamen bis Ende 1951 in die Stadt, sie machten damit rund ein Fünftel der Bevölkerung aus.

Den US-Truppen folgten schon nach wenigen Wochen die Briten. Sie hatten eine eigene Vorstellung davon, wie es weitergehen sollte. Sie ließen die Stadtverwaltung weitestgehend im Amt und setzten ihre eigene Aufsicht darüber. Auch die Rechtsvorschriften blieben in Bielefeld und der gesamten britischen Besatzungszone bestehen, soweit sie nicht eindeutig nationalsozialistischen Charakter hatten. Zugleich unterschätze der britische Gouverneur für Bielefeld Douglas McOlive wohl die Lage: Er musste innerhalb der ersten Jahre seines sechsjährigen Amtes immer mehr eigene Verwaltungskräfte heranschaffen, berichtet Vogelsang.