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»Wo sind die Nazis?« (11.05.2005)





Geballtes Wissen: Die Historiker Hans Werner Schmuhl, Katrin Stoll, Reinhard Vogelsang, Hans-Jörg Kühne, Martin Münzel und Bernd Hey erklärten am Sonntag im Theater am Alten Markt, was in den Jahren nach dem Krieg in Bielefeld passierte



Von Manfred Horn

Bielefeld 1945 – das war eine weitestgehend zerstörte Stadt. 15.600 der 39.000 Wohnungen im Stadtgebiet wurden durch zwei Fliegerangriffe im Januar und September 1944 wegradiert. Vorher gab es nur kleine Angriffe »der Bombenkrieg schien einen Bogen um Bielefeld zu machen«, wie Bielefelds heutiger Oberbürgermeister Eberhard David formuliert. Durch die Angriffe kamen 1.300 Menschen ums Leben, ab 1944 setzte auch die Flucht aus der Stadt ein: Wer konnte, ging zu den Verwandten aufs Land, oder schickte zumindest seine Kinder dort hin. Zählte die Stadt 1939 noch 126.000 Einwohner, so waren es im Mai 1945, als Bielefeld kapitulierte, gerade mal noch 70.000.

Bielefelds Kriegsende war nicht der 8. Mai 1945, die Stadt kapitulierte bereits am 4. April. Ganze 7.000 Soldaten standen in den ersten Apriltagen in der ganz Ostwesfalen und Osnabrück bereit, um die vorrückenden us-amerikanischen Streitkräfte aufzuhalten, viele von ihnen vom Volkssturm. In Bielefeld selbst waren es gar nur 3500. Panzer und andereres schweres Gerät war nicht vorhanden. Von daher war die militärische Niederlage vorgezeichnet, dennoch kam es beispielsweise Anfang April noch zu verbissenen Gefechten um Oerlinghausen, wie der Geschichtswissenschaftler Hans Jörg Kühne berichtet. Als dann das Ende nahte, setzten sich die Nazi-Oberen Bielefelds ab, nicht ohne noch von den verbliebenen Soldaten einen Kampf bis zum Tod zu verlangen. Sie verkrochen sich zunächst in einem Bunker an der Holländischen Straße, um dann die Flucht gen Osten anzutreten.


Der Pastor verkündete den Frieden

Die massiven Truppenverbände der US-Armee näherten sich bereits in den letzten Märztagen. Am 31. März standen die Panzer an der Grenze des damaligen Landkreises, Jöllenbeck wurde am 2. April erobert. Am 4. April, kurz nach Ostern, hing dann das weiße Lacken am Rathaus. Bis heute ist nicht geklärt, wer es dort angebracht hat. Es ist aber wohl im Einverständnis mit dem damaligen NS-Oberbürgermeister Friedrich Budde geschehen. Da sich Budde nach dem Krieg nie zu der Kapitulation äußerte, wird bis heute darüber spekuliert, ob der an sich stramme Nazi Budde nicht gar zusammen mit dem Leiter des Johanneswerks Pastor Pawlowski die Kapitulation in Geheimgesprächen vorbereitet hat. Spekulationen darüber halten sich, und als Indiz dafür wird gewertet, dass der Pastor den anrückenden Truppen mit seinem Dienstfahrrad entgegenfuhr, um ihnen zu verkünden, es werde kein Widerstand geleistet. Größere Auseinandersetzungen gab es tatsächlich nicht, aufgesessene Infantrie der US-Armee rollte den Niedernwall herunter. Das weiße Lacken verhinderte schließlich den Häuserkampf, kurz nach Büroschluss um 17.30 Uhr war die Stadt offiziell in der Hand der Allierten.

Der Historiker Kühne berichtet von Zeitzeugen-Schilderungen, dass die Jeeps der US-Kräfte von Einheimischen umringt gewesen seien. Die fragten: »Wo sind die Nazis?«. Die Umstehenden hätten sofort und eifrig geantwortet: »Im Bunker an der Holländischen Straße«. Einige hätten die US-Amerikaner sogar dort hin geführt. Dass die Nazifunktionäre zu diesem Zeitpunkt schon seit eineinhalb Stunden auf der Flucht gen Osten sind, können die Bürger auf dem Jahnplatz nicht wissen.