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Werte Dilemma (20.04.2005)



Ein Zwischenruf von Manfred Horn

Im Kreis Paderborn machen seit geraumer Zeit einige baptistische Fundamentalisten auf sich aufmerksam: Sie weigern sich seit Monaten hartnäckig, ihre Kinder in eine Schule zu schicken, weil dort die falschen Werte vermittelt werden würden. Der Staat reagiert bislang zurückhaltend, was den Konflikt allerdings nicht entschärft hat. Denn eigentlich gilt in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, Schulpflicht.

Die Eltern, die den Schulbesuch ihrer Kinder verweigern, wollen ihre Kinder lieber im Sinne ihres Glaubens unterrichtet sehen, beispielsweise durch Heimunterricht. Sexualkunde und Evolutionstheorie beispielsweise sind bei ihnen verpönt. Bei der Wahl der Mittel sind sie durchaus nicht zimperlich. Der erste Vorsitzende der Philadelphia-Schule, die in Gottes Auftrag Kinder zu Hause unterrichtet, drohte kürzlich mit einem »totalitären Unrechtsstaat«, wenn der Staat nicht endlich nachgebe.

Der bereits heftig eskalierte Konflikt im Kreis Paderborn deutet auf ein Problem hin: Soll Schule Werte vermitteln? Andersherum gefragt: Kann es eine Schule geben, die keine Werte vermittelt? Die Lage ist kompliziert: Denn Bildungseinrichtungen werden zunehmend auf Leistung, auf messbaren Output getrimmt. In der Diskussion um PISA und Co wurden Werte und Einstellungen kaum erfasst, sie sind auch schwer messbar. Auch begreifen sich Lehrer nicht als Erzieher im engeren Sinne. Sie wollen zuvorderst Wissen vermitteln. Doch hier trifft das Bildungssystem ein Dilemma: Die Vermittlung von Wissen gehorcht sehr wohl einem Wertekorridor. Er legt fest, nach welcher Weltanschauung der Lehrplan gestaltet wird. Denn ein objektives Wissen gibt es nicht, Ausgangspunkt sind immer die Überzeugungen derjenigen, die Lehrpläne machen und derjenigen, die dann im Klassenzimmer versuchen, Inhalte zu vermitteln.

Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg, auch keinen Notausstieg. Helfen würde zunächst die Einsicht, auf einer Wertefolie zu agieren, die verhandelbar ist. Will heißen, nicht mit einer gewissen Arroganz auf den eigenen Vorstellungen zu beharren. Letztlich sind auch physikalische Gesetze oder Humanismus nur Annahmen und Konstruktionen, die gesetzt sind.

Da sich die Schule in ihrer Wissensvermittlung aber nicht wertfrei stellen kann, sollte sie anfangen, darüber zu diskutieren, welche Werte sie eigentlich vermitteln will. Einen Ansatz verfolgen die Länder Berlin und Brandenburg: Sie setzen auf Fächer wie LER (Lebensgestaltungs-Ethik-Religion) oder Wertekunde. Dort wird den Schülern im Unterricht ein ganzer Set möglicher Werte, Religionen und Ideologien angeboten. Ein richtiger Ansatz, unterstreicht er doch die Trennung von Kirche und Staat. Unverständlich, warum eigentlich Religionsgemeinschaften bisher die Tür in der Schule so weit und so exklusiv offen steht. Mit der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft öffentlichen Rechts stehen auch diese wohl bald im Zimmer des Direktors, um Unterrichtseinheiten einzufordern.

Mit der Trennung von Staat und Kirche ist in Deutschland also nicht weit her. Dass die Kirchen nicht aus den Schulen rauswollen, liegt auf der Hand, können sie dort doch Nachwuchs gewinnen. Mit einem deutschen Stellvertreter Christi dürfte der Druck der katholischen Kirche auf den Staat sogar noch größer werden. Konsequent wäre es deshalb, sämtliche Religion aus der Schule zu verbannen beziehungsweise in einen Überblicksunterricht, der verschiedene Werteansätze vorstellt, zu integrieren. Schließlich dürfen politische Gruppierungen auch nicht für ihre Sache in der Schule werben.