Wolfgang Benz, Professor für Geschichte an der Technischen Universität in Berlin und langjähriger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung bearbeitet in der vorliegenden Untersuchung die Ausbreitung des Antisemitismus in Europa und insbesondere in der BRD. Er versucht eine zeitgemäße und fundierte Antwort auf die schwierige Frage zu geben, was Antisemitismus sei. Dabei geht es Benz nicht um eine Dramatisierung der Auseinandersetzung, sondern darum, das alltägliche Vorurteil der Mehrheit gegen die Minderheit zu betrachten, um seine Ursachen und Wirkungen zu erkennen Das Thema ist aktuell, derzeit ist immer wieder die Rede von einem neuen Antisemitismus, verbunden z.B. mit den Skandalen um die Politiker Möllemann oder Hohmann. Benz weist die Behauptung eines neuen Antisemitismus zurück, Antisemitismus habe eine lange Tradition und sei nur mit Rückblick in die Geschichte zu verstehen. Allerdings geht Benz nur in Kürze auf die Wurzeln dieses immer noch alltäglichen Vorurteils ein. Er verweist auf religiöse Ressentiments gegen Juden und JüdInnen, entstanden aus dem den christlichem Antijudaismus: Juden hielten an ihrer Religion fest statt sich dem neuen Christentum anzuschließen, sie wurden deshalb als gottlos, moralisch, verbrecherisch wahrgenommen und mit Ketzern und Häretikern auf die gleiche Stufe gestellt. Interessant ist in diesem Zusammenhang Benz kurzer Exkurs auf Ritualmordlegenden wie z.B. die über das Anderl vom Rinn, die nicht, wie lange vermutet aus Aberglauben entstanden, sondern immer wieder durch Kleriker in die Welt gesetzt wurden. Das Erbe christlicher Judenfeindschaft besteht vor allem anderem im Ressentiment, das nicht artikuliert, aber als eine Art unbewusster Gewissheit über Generationen tradiert wird, so Benz. Als weitere Wurzel wird die Entstehung des Rassenantisemitismus, der pseudowissenschaftlich argumentiert, beschrieben. Vertreter dieser antisemitischen Vorbehalte äußerten bereits im !9. Jahrhundert Vernichtungsphantasien, deutlich erkennbar in Formulierungen wie Entjudung, Entfernung oder Ausmerzung. Dieser moderne Antisemitismus wurde von den Nationalsozialisten aufgegriffen und führte zum Holocaust, der systematischen Ermordung der Juden und JüdInnen Europas. Auch hier erkennt Benz Wirkungsmächtigkeit in die aktuelle Zeit, das Feindbild des geschäftstüchtigen, rachsüchtigen, übermächtigen Einfluss in Politik, Kultur und Wirtschaft anstrebenden Juden sei in vielen Facetten unverändert wirksam.
Deutlich wird dies in der Auswertung von Zuschriften an den Zentralrat der Juden in der BRD, verschickt in einem Zeitraum vom Jahr 2000 bis 2003. Da werden aus unterschiedlichsten Anlässen unverblümt Äußerungen gemacht, wie die, für die Juden sei immer genug Geld da, egal ob es um ein Holocaustdenkmal oder um die Belange des Staates Israel gehe oder die Juden seien selbst schuld daran, wenn ihnen mit Antisemitismus begegnet würde, sie selbst würden diesen durch ihr Verhalten produzieren. Die SchreiberInnen greifen bestehende allgemeine Klischees auf, die jeder Logik entbehren, aber mit Vehemenz und Aggressivität vorgetragen werden. U.a, wird gerne auf den Staat Israel verwiesen, wo mensch als Jude doch eigentlich hingehöre. Für viele der BriefeschreiberInnen ist offensichtlich die Deutsche Staatsbürgerschaft mit dem Judentum nicht vereinbar, entweder deutsch oder jüdisch, so scheinen viele zu denken. Benz bietet keine umfassende Statistik über die in diesem Zeitraum eingegangenen Briefe, weder gibt es allgemeine Anhaltspunkte zur Herkunft, Beruf, Alter, etc., noch werden Angaben über indifferente Äußerungen gemacht. Dennoch, dass wird deutlich, hält er die zitierten SchreiberInnen für eindeutig repräsentativ.