Rund zehn Millionen Deutsche leiden im Winter unter depressiven Verstimmungen, die vom Lichtmangel hervorgerufen werden. Das Krankheitsbild Winterdepression ist Hausärzten nicht fremd. Erste Wahl bei der Therapie ist der gezielte Einsatz von Licht.von Aiga Kornemann»Am liebsten würde ich mich unter der Decke verkriechen und bis Mai nicht mehr vor die Tür gehen«, klagt Anke Merten*: »Es ist jedes Jahr das Gleiche: Ab November bin ich nur noch trübsinnig, habe zu nichts Lust, kann mich selbst nicht mehr leiden. Im Frühling verschwindet der Spuk, als sei er nie da gewesen« Die 36-Jährige Bielefelderin arbeitet in einem Büro, ist seit zehn Jahren glücklich verheiratet und nennt sich »eigentlich gesund und sorgenfrei«, bis auf die Tatsache, dass sie seit drei Jahren in der dunklen Jahreszeit an depressiven Stimmungen leidet. Ihr Hausarzt diagnostiziert SAD, eine Saisonabhängige Depression.
Als Krankheit anerkanntLust auf Süßes oder gar kein Appetit zählen zu den harmloseren Symptomen einer SAD. Mit Schlafstörungen, Antriebsschwäche und Konzentrationsmängel kann die Winter-Depression den Alltag erheblich beeinträchtigen und sich in Angst-Schüben bis hin zu Todessehnsucht auch existentiell bedrohlich auswirken. Vor rund 15 Jahren erstmals als Krankheit beschrieben und anerkannt, gab die SAD den düsteren Empfindungen, die in Deutschland allein alle Jahre wieder geschätzte zehn Millionen Menschen befallen, endlich einen Namen und erschloss der Gesundheitsindustrie einen neuen Markt.
Die Ursache: LichtmangelSAD tritt da auf, wo Lichtdauer und Lichtintensität im Wechsel der Jahreszeiten deutlich schwanken. In Florida leiden nur vier Prozent der Bevölkerung an SAD, in Alaska sind es fast dreißig Prozent. Winterliche Lichtverhältnisse bringen die biologische Uhr aus dem Takt. Dabei reagiert der Stoffwechsel des Gehirns in lichtarmer Jahreszeit eigentlich völlig normal: Wenn es dunkel wird, kurbelt er die Melatonin-Ausschüttung an, was müde macht, und fährt die Aktivität der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin zurück, die für Antrieb, Denken und Stimmung sorgen. Mensch schläft ein, bis die Morgensonne seinen Stoffwechsel zu neuen Taten kitzelt. Tut sie das nicht, bleibt der Melatoninspiegel hoch und der Körper signalisiert auch tagsüber Müdigkeit.
Lichtempfindlichkeit unterschiedlichAuf die Stärke des Lichts reagieren Menschen unterschiedlich empfindlich. Möglicherweise liegt es in den Genen, wie viel Licht jemand braucht, um im Gleichgewicht zu bleiben. Wahrscheinlich bringt auch die Zivilisation SAD-Symptome hervor: Wer im Winter wochenlang morgens im Dunkeln zur Arbeit fährt, den Tag in einem fensterlosen Raum unterm Neonlicht verbringt, um am späten Nachmittag wieder im Dunkeln nach Hause zu fahren, gönnt sich zwangsläufig zu wenig Licht, das in einer Stärke von rund 2.000 Lux anfängt, physiologisch zu wirken. So viel bringt an einem Frühlingstag der Blick aus dem Fenster. Ein Sommertag bietet 10.000 Lux. Hier jedenfalls. Am Äquator sind es rund 80.000 Lux.
Licht als beste TherapiemethodeGegen miese Laune, Winterblues und andere Farben im Krankheitsbild der Depression hilft also Licht. Die Lichtreize transportiert der Körper hauptsächlich über den Sehnerv ins Gehirn. Lichttherapie heißt, sich mit offenen Augen etwa einen halben Meter vor eine therapeutische Lichtquelle zu setzen, ohne hineinzusehen. Therapeutische Lampen werden in Arztpraxen genutzt und im Handel in unterschiedlichen Stärken angeboten. Der Selbstbau ist preiswerter.