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Medienvision 2024 (24.11.2004)





Der Mann mit dem Messer...


Von Manfred Horn

Am Wochenende wurde diskutiert und gefeiert: Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) kam in Bielefeld zu ihrem alljährlichen November-Jahresforum zusammen. Diesmal war es besonders: Denn neben den zahlreichen Workshops und der Verleihung des Dieter Baake-Preises galt es, 20 Jahre GMK zu würdigen. Dazu passte dann auch die Abschlussdiskussion am Sonntag Vormittag: »20 Jahre GMK – Visionen und Ausblick«.

GMK Vorsitzender Dieter Wiedemann machte sich seine Gedanken über die Medienzukunft: Wichtig werde Kommunikation im Sinn von Verstehen. Auch die Archivierung von Kommunikation und das Auffinden von Information habe große Bedeutung in der Zukunft. »Wer hat denn überhaupt noch den Überblick?« Franz Josef Röll jedenfalls nicht. Der Professor der Fachhochschule Darmstadt outete sich als Jäger und Sammler. Darunter leidet er nicht, im Gegenteil bereitet es ihm Genuss, Dinge anzuhäufen unter dem Nachkriegsmotto: »Kann man ja vielleicht noch mal irgendwann gebrauchen«. Er weiß auch schon, was er nach seiner Emeritierung tun wird: Jahrelang sortieren.


Brecht Renaissance: Empfänger zu Sendern

Wiedemann betonte, in Zukunft würden immer weniger Menschen im klassischen Sinn arbeiten. Stattdessen müsste die Gesellschaft Menschen die Möglichkeit zu Tätigkeiten bieten. Da kommen die Medien ins Beschäftigungsspiel. Ganz mit Brecht will er Empfänger zu Sendern machen. Was mit dem Radio mit dem Brechtschen Modell nicht gelang, sei nun mit den neuen elektronischen Medien möglich. »Die praktische Medienarbeit kann die wichtigste Form des eigenen Ausdrucks, des Menschseins werden«, blickte er in die Zukunft.

Die Gesellschaft als zunehmend arbeitslos im klassischen Sinn einer geregelten Lohntätigkeit. Diese Diagnose hat Andre Gorz schon vor über 20 Jahren gestellt, stellte Lothar Mikos, Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam, fest. Je weniger Arbeit, desto mehr Medienkonsum gebe es. Mehr Medien bedeute auch die Notwendigkeit von mehr Medienkompetenz. Doch Mikos hat vor allem die über 50-Jährigen im Blick, die mit der beschleunigten Medienentwicklung mit immer neuen Knöpfen und Bildern nicht mehr mitkommen. Kinder und Jugendliche seien in der Regel sowieso schon medienkompetent. Die über 50-Jährigen aber trauen sich an neue Medien gar nicht richtig ran, sie konsumieren lieber vor der Flimmerkiste. Ihre Kompetenz, dass, was sie sehen, nach Fiktion und Realität zu sortieren, hält Mikos für gering: »Medienrealität und die tatsächliche Realität: Das vermischen doch eher diejenigen, die über 50 sind«.






Lothar Mikos (links): Müssen tatsächlich alle Schulen ans Netz?


Internet in 20 Jahren nur noch Kommerz

Und Mikos widersprach Wiedemanns euphorischer Internetbetrachtung: Internet werde in 20 Jahren im emanzipatorischen Sinn, also in Brechts Sender-Empfänger Modell beziehungsweise in seiner gegenwärtigen Transformation in die Formel der Interaktivität, keine Rolle mehr spielen. Alles, was bliebe, sei Kommerzmedium. Pädagogik und demokratische Erziehung? Dafür sei das Netz dann nicht mehr geeignet. Schuld daran habe auch die Politik, die rot-grüne Bundesregierung implementiere Technik ohne Ende, bald ist wirklich jede Schule in Deutschland am Netz, sogenannte »Notebook-Universities« werden staatlich gefördert. Kaum jemand aber stelle die Frage, ob dies auch sinnvoll ist.