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»Ernste Deutsche« (Teil 2)



Welche Menschen haben sie auf ihrer Suche nach der deutschen Kultur interviewt?

Wirklich jeden, ich wollte einen möglichst vielfältigen Ausschnitt aus der Bevölkerung. Die jüngste Person war 22 Jahre, die ältesten beiden 73. Wir hatten aber nicht nur altersmäßig eine große Bandbreite, sondern auch, was die Berufe der Menschen betraf. Das waren Kunsthistoriker, Geschichtslehrer, ein Flugzettelverteiler, eine Hausfrau und so weiter. Wir trafen aber auch internationale Menschen, einen Mann aus Kamerun, eine Chinesin und auch einen Inder, der, so wie wir in Pakistan, Urdu spricht. Also eine große Vielfalt.


Waren die Konzepte der Menschen von deutscher Identität genauso unterschiedlich wie sie selbst?

Es gab Überschneidungen, etwa dass die meisten sagten, dass Deutsche ernst sind, dass sie Dinge gerne planen, dass sie Bier und Fußball lieben. Das andere, worin die meisten übereinstimmten, war die Frage von Rassismus. Ich war darüber froh und traurig zugleich. Es war traurig, weil ich Twens getroffen habe, die immer noch die Narben von dem trugen, was im 2. Weltkrieg passiert ist. Das fand ich sehr unfair. Klar, man muss sich dessen bewusst sein, was passiert ist, damit es nicht wieder passiert. Aber man sollte auch nicht mit einer Schuld leben, das ist jetzt immerhin die dritte Generation. Diese Frage war etwas, die alle meine Interviewpartner beschäftigt hat, durch alle Generationen. Sie werden immer wieder daran erinnert, dass sie Deutsche sind. Wenn sie ins Ausland fahren, werden sie sofort mit Hitler und Nazis in Verbindung gebracht. Das ist traurig.

Ich traf eine Frau, die Geschichte und Literatur studiert und in Großbritannien war. Die erzählte, dass Auseinandersetzungen immer damit endeten: Was willst du, du bist deutsch, die Engländer haben den Krieg gewonnen. Die Frau ist 25, sie hat Hoffnungen und Träume, will reisen und sich verlieben, sie hat damit nichts zu tun. Es klingt zwar komisch, aber manche sind auch rassistisch gegenüber Deutschen.


Dumme Rassismen sind also kulturübergreifend?

Ja, das denke ich. Statt aus der Vergangenheit zu lernen, spielen viele das, was wir im Englischen das »Schuld-Spiel« nennen. Manche kapieren zwar, dass eine 25-Jährige keine Schuld hat, aber oft wird so eine Schuldzuweisung auch als Spaß aufgefasst. Das ist sehr traurig. Zudem war ich in den USA, bevor ich hierhin kam. Dort erlebte ich mehr rassistiche Vorfälle als hier. Das ist doch niedlich: Deutsche sind sensibler für Rassismus, obwohl ich hier kaum welchen erlebt habe. Aber die Amerikaner leugnen, dass es ihn gibt. Aber ich sage ganz offen: Ich habe dort viele Geschichten erlebt, wo Menschen mir gegenüber ganz offen rassistisch waren. Hier ist das nur einmal passiert.

Ich hatte in den USA auch ständig das Gefühl mich erklären oder für das entschuldigen zu müssen, was ich bin und woher ich komme. Zum Beispiel bin ich eine Muslima und rauche. Die Leute dachten aber, Muslime dürften nicht rauchen. Da waren diese lustigen kleinen Dinge, die die Leute glaubten. Andere sagten: Ah, du bist Vegetarierin und ich sagte, nein ich liebe Fleisch, nur eben kein Schwein oder Schinken. Sie glaubten diese kleinen, dämlichen Dinge und ich musste ständig etwas erklären, ständig. Das war echt frustrierend, dass mich die Leute immer in diese Kästchen gesteckt haben. Ich komme zum Beispiel aus einer Kultur, in der Musik sehr wichtig ist. Und die Leute waren erstaunt, dass ich Musik höre und keinen Schleier trage. Es war verrückt. Ständig fragten mich die Leute: Warum trägst du diese Kleidung, warum diese Schuhe? Es war immer dieses Warum, das hat mich echt genervt. Ich frage die Leute doch auch nicht, warum sie sich so kleiden, wie sie es tun.