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Europa in schlechter Verfassung (16.06.2004)





Alles auf Kurs: Konventsvorsitzender Valery Giscard d'Estaing mit der damaligen spanischen Aussenministerin Ana Palacio. Das Bild entstand 2002 während einer Konventssitzung. Inzwischen ist die spanische konservative Regierung abgelöst




Die europäische Verfassung wird bald verabschiedet, breit diskutiert worden ist sie nicht. Vielmehr hat sie ein Konvent hinter verschlossener Tür gedealt. So sieht sie eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Schaffung einer europäischen Verteidigungsagentur vor (WebWecker berichtete). Kritisiert wird die Verfassung auch im Bereich der sozialen Gesetzgebung. Neoliberal sei der Entwurf, sind sich viele Kritiker einig. So sei beispielsweise ein wichtiges soziales Recht ausgeklammert: das garantierte Recht auf Rente.


Von Manfred Horn

Eine Hegemonie neoliberaler Vorstellungen hat Arno Klönne ausgemacht. In der Verfassung stünde vor allem eine Anleitung zum Sozialdarwinismus, äußerte der Soziologe Klönne bei einer Veranstaltung des Bielefelder ›Forum soziale Zukunft‹ in der vergangenen Woche. Ein eindeutiger Trend hin zum Sozial- und Steuerdumping sei zu erkennen, die industrielle Reservearmee werde durch die neue EU-Verfassung erweitert. Der Clou: Was die Europäische Kommission da vorlege, sei Regulierung: »Es ist halt nicht immer die Frage, die Politiker so gerne stellen: Was kann dereguliert werden?«

Die von Klönne konstatierte weltanschauliche Festlegung auf Neoliberalismus wird auch von anderer Seite kritisiert: Ulrich Duchrow fällt in einem Artikel der »Zeitschrift für Entwicklungspolitik« auf, dass unter den Grund-Werten der neuen EU-Verfassung sich Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität befinden. Als oberste konkrete Ziele aber würden »Freiheit ... ohne Binnengrenzen« und ein Binnenmarkt »mit freiem unverfälschten Wettbewerb« genannt (Artikel 1-3-3)

Als neues Grundrecht wird die unternehmerische Freiheit genannt. Im Grundgesetz der Bundesrepublik steht: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«. Nichts davon ist der EU-Verfassung. Stattdessen eine windelweiche Formulierung: »Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist« (Artikel 2-17-1)

›attac‹ stellt fest, dass in der künftigen EU-Verfassung die Sozialbindung des Eigentums vernachlässigt werde. Im Gegensatz zum Grundgesetz der Bundesrepublik, das kein einseitiges Bekenntnis zum marktwirtschaftlichen Kapitalismus ablege, sei in der EU-Verfassung ausdrücklich erklärt, dass es keine grundlegende Sozialbindung des Eigentums geben soll (Artikel 2-17). Der Verfassungsentwurf verpflichte die Staaten vielmehr zu einer Wirtschaftspolitik auf den Grundsätzen einer »offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« und Wirtschaftswachstum (Artikel 3-69 und Artikel 1-3). Eine Position, die das Konventsmitglied Sylvia Yvonne Kaufmann (PDS) kritisiert: »Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb‹ muss gestrichen und durch ›soziale Marktwirtschaft‹ ersetzt werden – ansonsten wird dem Manchester-Kapitalismus Tür und Tor geöffnet«. Kaufmann ist jedoch eine der wenigen EU-Parlamentarier, die sich öffentlich in dieser Form positionieren.

Hinzukomme, dass das die neue Verfassung eine Beschäftigungspolitik vorsieht, die sich darauf beschränken soll, die »Verwendbarkeit« und die »Anpassungsfähigkeit« der ArbeitnehmerInnen an die industriellen Wandlungsprozesse der Produktionssystem zu verbessern, kritisiert attac (Artikel 3-113). Als Hauptziel der Agrarpolitik werde vorgegeben, die Produktivität der Landwirtschaft durch technischen Fortschritt und Rationalisierung zu steigern. Weiter sind Importverbote, beispielsweise gegen Gen-Food, nach Artikel 3-217 der Verfassung untersagt. Quintessenz: Handelsinteressen haben eindeutig Vorrang vor sozialen und ökologischen Anliegen.