Das Referat für Internationalismus und Frieden des Allgemeinen Studierendenausschusses AStA der Universität organisiert in diesem Semester eine Veranstaltungsreihe über internationale Friedensarbeit. Eröffnet wurde sie in der vergangenen Woche mit einem Abend über Kriegsdienstverweigerer in der Türkei.Von Mario A. Sarcletti»Nicht öffentlich werden«, so beschreibt Jörg Rohwedder das Konzept, mit dem man als ausländischer Unterstützer von Kriegsdienstverweigerern in der Türkei staatlicher Repression entkommt. In den zwei Jahren, in denen er bis 2001 als Friedensfacharbeiter in dem Land war, sei er auf keiner Demonstration gewesen, sagt er. »Die Türkei ist kein Überwachungs- sondern ein Drohungsstaat«, beschreibt er die Strategie der dortigen Behörden.
Auf die haben sich auch Kriegsdienstverweigerer in dem Land eingestellt. Bis heute haben sich nach Rohwedders Angaben nur etwa 35 von ihnen als solche deklariert, obwohl nach staatlichen Angaben etwa 300.000 junge Männer den 18 Monate dauernden Dienst mit der Waffe verweigern. Die meisten von ihnen sind einfach untergetaucht, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt es in der Türkei ebenso wenig wie eine echte Bewegung der Verweigerer. Um die auf den Weg zu bringen, ging Jörg Rohwedder im Auftrag von »Umbruch«, einem Bildungswerk für Friedenspolitik und gewaltfreie Veränderung, an den Bosporus.
Eine schwierige Mission: Erst in den 90er Jahren, berichtet Jörg Rohwedder, bekannten sich zwei Pazifisten zu ihrem Gesetzesverstoß. »Geht nicht zum Militär, geht nicht in die Berge«, war ihre Aufforderung an andere Betroffene. Die konnte der türkische Staat nur schwer sanktionieren: Das Staatssicherheitsgericht, an den die ersten Fälle verwiesen wurden, ist eigentlich für Terrorismus zuständig. Als solcher kann Kriegsdienstverweigerung wohl kaum gelten. Schließlich kam es zu Prozessen vor Militärgerichten. »Distanzierung des Volkes vom Militär« lautete der Vorwurf gegen die aktiven Verweigerer.
Einen von ihnen, Osman Murat Ülke, lernte Rohwedder bei einem Seminar in Deutschland kennen. »Der ist hier aufgewachsen und spricht perfekt Deutsch. Das hat mir bei meiner Arbeit dann auch sehr geholfen«, erzählt der Friedensaktivist. Insgesamt zwei Jahre pendelte Ülke zwischen Militärgericht und Kaserne, immer wieder weigerte er sich die Uniform anzuziehen. Sogar die Vereinten Nationen verurteilten das Vorgehen der türkischen Behörden. Schließlich ließ ihn ein Richter nicht von der Militärpolizei in die Haft zurückbringen. »Er hat ihm befohlen, in die Kaserne zurückzukehren. Ossi ist aber nach Hause gegangen«, berichtet Jörg Rohwedder. Dort wurde er vom Militär nicht mehr behelligt.
Das ist nach Ansicht Rohwedders typisch für die Türkei. »Wir gehen davon aus, dass die wissen, wo die Deserteure stecken. Aber sie haben kein Interesse den Konflikt zu eskalieren«, so seine Einschätzung. Eine Eskalation des Konfliktes zwischen Pazifisten und Militär wollte er aber mit seiner Arbeit erreichen. Militär und Gesellschaft müssten erst einmal merken, dass es da ein Problem gebe. »Aber der Staat will nicht in den Ring steigen«, bedauert der Friedensfacharbeiter. Immerhin erreichten die Verweigerer, dass das Militär in Erklärungen einen Begriff verwenden musste, für den es in der Türkei kein Konzept gibt: Befehlsverweigerung.