Unzufrieden zeigt sich Giegold auch mit den sogenannten Maastricht-Kriterien, die eine Staatsverschuldung von nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts und einer Neuverschuldung nicht über 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts verbindlich vorsehen. Bekanntlich hat Deutschland 2003 dagegen verstoßen, weil die Neuverschuldung fast vier Prozent erreichte. Giegold hingegen meint: In der Wirtschaftskrise seien die Ausgaben »raufzufahren«, um die Krisenkurve im Konjunkturzyklus möglichst flach zu halten. Doch die Maastricht-Kriterien der EU würden genau dies verhindern. »Dadurch fallen die Krisen tiefer aus als sie eigentlich müssten«, stellt Giegold fest. Auch die Europäische Zentralbank solle das ihre tun und die Zinsen absenken. Dadurch würde mehr Inflation entstehen, die Kredite billiger: »Das wäre antizyklisch«, sagt Giegold.
So aber bliebe den Ländern, denen es schlecht geht, nicht mehr viel übrig: Einzig der Sozialabbau stelle sich »attraktiver Anpassungsmechanismus« dar, weil an Zinsen und Staatsausgaben nun mal nicht gedreht werden könne. Sozialabbau bedeute auch Lohnabbau. Und der sei auch das Ergebnis von Immigration: »Ein Thema, das unter Linken nicht gerne angesprochen wird«, meint Giegold. Illegal Beschäftigte zum Beispiel im Baugewerbe würden die Löhne Normalbeschäftigter unter Druck setzen.
In Deutschland existiere aber ein politisches Problem, das aus dem ökonomischen Schwierigkeiten resultiere: Die Gruppen, die mit Abwanderung drohen können, seien viel mächtiger geworden im Verhältnis zu denen, die damit nicht drohen können. »Das Kräfteverhältnis Kapital zu sozialer Gerechtigkeit und Ökologie hat sich deutlich verschlechtert, resümiert Giegold.
Einheitliches Steuersystem für EuropaBleibt die Frage nach den Alternativen: Zunächst einmal behauptet Giegold, dass die Politik beim Sozialabbau schneller voranschreite als sie eigentlich müsste, weil der ökonomische Druck so stark nun auch wieder nicht sei. Andererseits: Druck sei da, die Globalisierung kein Mythos. Aber: »Nicht jede Schweinerei lässt sich mit der Globalisierung begründen«. Giegold sieht zunächst Chancen der Regulierung und Harmonisierung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU. Das würde zum Beispiel bedeuten, das Steuersystem in Europa anzugleichen. Dafür gebe es eine reale Chance in der EU: Die Außenhandelsverflechtung mit der »restlichen Welt« sei mit nur 10 Prozent klein, 90 Prozent der Waren verkehren innerhalb der EU.
Aber: Giegold plädiert gleichzeitig dafür, höhere soziale Normen den ärmeren EU-Ländern nicht aufzudrücken, das wäre »billiger Protektionismus«. »So etwas geht nur mit Zeit und relativ hohen Hilfen«. Genau dies sei aber der Osterweiterung nicht zu beobachten: Ein gemeinsamer Markt entstünde, aber die Transferleistungen seien minimal.
Giegold spricht sich konkret dafür aus, dass die Europäische Zentralbank nicht mehr nur zur Inflationsbekämpfung da sei, sondern sich mit monetären Mitteln auch um Vollbeschäftigung kümmere. Weiter seien die Maastricht-Kriterien zu ändern, die Ausgaben müssten »notfalls einfach hochgefahren werden«. Auch die Steuerpolitik sei anzugleichen. Dazu gehört für Giegold die internationale Anwendung des Wohnsitzprinzips, grenzüberschreitender Informationsaustausch zwischen Finanzdienstleistern und Steuerbehörden, das Bankgeheimnis würde gelüftet. Bei Konzernen schlägt Giegold eine EU-weite Mindestbesteuerung von 30 Prozent auf Gewinne vor. »Dies sind alles wirksame Maßnahmen gegen Steueroasen in der EU«, sagt Giegold.