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Europa der Sozialreformen (24.03.2004)



Sven Giegold
Giegold: Standortwettbewerb drückt auf die Sozialsysteme


Sven Giegold, Mitbegründer von ›attac Deutschland‹ kam nach Bielefeld, um über seine Vorstellungen eines geeinten Europas zu sprechen: Eine Union mit Sozialkorridoren und Mindestbesteuerung.












Von Manfred Horn

Großer Auflauf im Internationalen Begegnungszentrum an der Teutoburger Straße: Über 80 Menschen waren am Donnerstag gekommen, um Sven Giegold zu hören. Der ist Mitbegründer von ›attac Deutschland‹ und eine der Galionsfiguren der attac-Bewegung. Der Wirtschaftswissenschaftler und Gemeinschafts-Ökohof-Bewohner trug zum Thema Sozialabbau in der Europäischen Union vor. Denn: Sozialabbau ließe sich nicht mehr nationalstaatlich begreifen, sondern müsste in den europäischen Kontext gestellt werden.

Giegolds Eingangsfeststellung: Vier zentrale Bereiche seien auszumachen, gleichsam auch die vier Grundfreiheiten der EU: die Freiheiten des Warenverkehrs, des Dienstleistungshandels, des Kapitalverkehrs und der Niederlassung für Personen und Unternehmen. Bereits 1985 habe die EU in einem Weißbuch festgehalten, dass alles, was diese Freiheiten behindere, aus dem Weg zu schaffen sei.

Dadurch aber treten die Nationalstaaten in heftige Konkurrenz zueinander: Wer hat die niedrigsten Steuern, die günstigsten Zinsen, die besten Ansiedlungsbedingungen für Unternehmen? Der Standortwettbewerb drücke auf die Sozialsysteme, erklärt Giegold. Die Unternehmen suchen nach Orten, wo sie niedrigste Kosten mit höchster Produktivität verbinden können. So mache beispielsweise auch die Offenheit des Kapitalverkehrs Druck auf die Sozialsysteme, da das Finanzkapital in das Land mit der höheren Rendite auf Kapital gehe.

Einen weiteren Effekt der nationalstaatlichen Konkurrenz innerhalb der EU beschreibt Giegold als »Lohnspreizung«: »Leute mit hohen Fähigkeiten können sich international besser verkaufen, während die Löhne im unteren Bereich unter Druck geraten«, sagt Giegold. Niedrige Qualifikationen können leicht ins europäische Ausland verlagert werden, damit sinken in Deutschland auch die Löhne in diesen Bereichen.

Ein großes Problem auch die Steuerpolitik: Inzwischen habe sich ein europäischer Steuerwettbewerb entfaltet. Geschätzte 500 Milliarden Euro von Privatpersonen aus der Bundesrepublik lagern inzwischen gewinnbringend auf Konten in Lichtenstein, Luxemburg und der Schweiz. Dies macht 13 Prozent des Geldvermögens Deutschlands aus.

Die Konzerne verschieben ihre Gewinne zu Unternehmenstöchtern in Ländern mit niedrigeren Steuersätzen. Dies geschieht, indem zum Beispiel die ›Transferpreise‹ deutlich über den Marktwert angehoben werden: Wenn ein Automobilkonzern mit Sitz in Deutschland seinem Tochterunternehmen in der Tschechei Teile erhält, so werden diese in der internen Buchführung extrem teuer verrechnet. Der Effekt: Der Gewinn in Deutschland fällt kleiner aus, entsprechend wenig Steuern müssen gezahlt werden. Zugleich fällt der Gewinn beim Tochterunternehmen in der Tschechei größer aus, was aber relativ günstiger ist, weil es dort erheblich niedrigere Steuersätze gibt. Der Effekt sei eben auch, dass aus Konkurrenzgründen der Spitzensteuersatz in Deutschland immer weiter gesenkt wird, um das Geld und die Gewinne im Land zu halten.