Steuerbelastung ist zu niedrig (Hickel; 04.02.2004)
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Marx im Herzen, Keynes auf der Zunge. Oder doch Marx auch im Kopf. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bremen, redete jedenfalls wie ein Schüler John Maynard Keynes.
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Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sprach bei einer Veranstaltung des Forums Soziale Zukunft in Bielefeld. Er ist Professor an der Universität Bremen und mitverantwortlich für den alljährlichen alternativen Wirtschaftsbericht der
Memorandum-Gruppe. Was er vorschlug, dürfte den Sparkommissaren der Republik die Zornesröte ins Gesicht treiben: mehr Steuern, mehr SchuldenVon Manfred HornHickel war am vergangenen Donnerstag auf Einladung des Bielefelder Forums Soziale Zukunft nach Bielefeld gekommen. Es war die erste Veranstaltung des Forums, dass sich im Sommer 2003 in Bielefeld gegründet hatte. Mit Hickel kam gleich ein Prominenter und 130 ZuhörerInnen in die Ravensberger Spinnerei.
Hickel ist einer der wenigen kritischen Wirtschaftswissenschaftler im Staatsdienst. »Die Wirtschaftswissenschaft in Deutschland ist in trostlosem Zustand«, sagt er und spricht von den »kleinen, süßen Systemzwergen«, die an den Universitäten herumlehren, auch in Bielefeld. Dort gehe es nur noch um Neoklassik und allgemeine Gleichgewichtstheorie. Mainstream ist, auf die Kräfte des Marktes zu setzen. Wobei Hickel himself in der Kritik offensichtlich flexibel ist. Denn die Vorschläge, die er am Donnerstag Abend machte, erinnern doch stark an Ideen, die Oskar Lafontaine, bevor er als Wirtschaftsminister abtrat, formulierte oder auch an die Ideen des
Keynesianismus.
Hickel zitiert den jüngsten Monatsbericht der Europäischen Zentralbank: Demnach leidet die Welt nicht unter Kapitalmangel, vielmehr sei in den Industrienationen eine »Überliquidität« zu verzeichnen. Das mache der Europäischen Zentralbank Sorge, weil dadurch Inflationsgefahr bestehe. Für Hickel ein deutliches Zeichen von »Casino-Kapitalismus«. Geld sei mehr als genug da, nur setze sich das Vermögen nicht in Arbeitsplätze um. Statt an dieser Stelle anzusetzen, setze die Politik auf Deregulierung: Alles werde zerschlagen, zuvorderst die sozialen Regulierungen, aber auch das Tarifrecht, die Gleichstellung der Frauen. Unterschiede zwischen rot, grün und schwarz seien kaum noch zu erkennen, sagt Hickel, der im vergangenen Bundestagswahlkampf noch die heutige Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlmann (SPD) unterstützte. Eine Hingabe, die spätestens nach deren offensiver Forderung nach Eliteuniversitäten deutlich abgekühlt ist.
Hickel positioniert sich deutlich gegen das allgegenwärtige Postulat des Marktes. »Die Botschaft des Marktes ist inzwischen übermächtig«, formuliert er; es gebe inzwischen sogar Economics Of Love. Selbst zwischenmenschliche Beziehungen würden dann als Kosten-Nutzen-Analyse betrachtet. Opportunitätskosten versus Benefits könnte die Gleichung lauten, entgangene Möglichkeiten können so mit Dienstleistungen wie «Hemden bügeln gegengerechnet werden, kein Platz mehr für Moral, Solidarität oder gar Romantik. »Der Liberalismus ist eine große Lüge«, sagt Hickel. Er bedeute verstärkte Ausbeutung des Menschen zu Gunsten eines Wirtschaftsliberalismus. Statt dessen bräuchten die Menschen Gerechtigkeit und soziale Aufgehobenheit. Gewerkschaften beispielsweise seien bewusste kollektive Einrichtungen, sie bieten Schutz, der die Entwicklung vieler Menschen erheblich verbessere.