Webwecker Bielefeld: kinopopcorn01

Irgendwo zwischen Parkhaus und Fitnessstudio (17.12.2003)



Ein Kommentar von Manfred Horn

Die neuen Kinos werben mit ihrem Eventcharakter. Doch bunt gestrichene Wände, Sitzinseln, Kiloeimer mit Popcorn, und Riesenbecher Cola sind Geschmackssache. Die Geschichte, die die Multiplexe erzählen, sind dürftiger als die von Bedürfnisanstalten. In den Abspielanstalten springt einem eine sterile Welt ins Gesicht. Passend zum allgegenwärtigen Trend: Ist die Welt schon nicht in Ordnung, so soll sie doch sauber sein.

Gut, die alten Kinos waren oft schmuddelig. Aber sie erzählten Geschichten, die Räume haben etwas erlebt, dass sich irgendwie in Kronleuchtern und bourdeauxroten Vorhängen gespeichert hat. Sie atmeten Geschichte. Sie hatten Figuren. Im Kassenhäuschen saßen oft jahrzehntelang die gleichen Personen, manchmal tauchte auch eine echte Leiche auf. Geschehen im Capitol, entdeckt bei der Schließung, doch aus dem menschlichen Knochengerüst, das jahrzehntelang in irgendeiner versteckten Ecke lag, ließ sich kein Tathergang mehr rekonstruieren. Und das Atrium: Das war noch Kino, das war etwas, dass der alten Vorstellung eines Kinos als Theater entsprach. Das dort jetzt ein Gerry Weberscher Einkaufstempel steht, spricht Bände.

Die Multiplexe haben in den 1990ern alles verdrängt, was sich irgendwie verdrängen ließ. Die Strategie der Konzerne war einfach: Erst kaufte Flebbe nahezu alle Kinos auf, dann machte er sie irgendwann einfach zu. Dabei schrieb die kuriose Flebbsche Ansammlung von alten Kinos in Bielefeld sogar schwarze Zahlen. Und nun stehen da die diese beiden Dinger namens Cinestar und Cinemaxx in der Gegend rum und verbreiten, äußerlich den Charme von Parkhäusern, innerlich den einer Mischung aus Fitnesscenter und Unterhaltungspark. Sollte eines von beiden zumachen, so wird das sicherlich kein ästhetischer Verlust sein. Und: Dass eines der beiden Häuser schließen wird, kann als sicher angenommen werden. Denn die Situation in Bielefeld ist einmalig in der ganzen Bundesrepublik. In keiner anderen Stadt vergleichbarer Größe sind die zwei Konzerne geradezu nebeneinander eingezogen.

Die Prognosen für das Kino waren schon vor zehn Jahren nicht mehr gut: Damals machte Programmvielfalt im Fernsehen und Video den Kinos zu schaffen, heute ist es die DVD. Alles scheint kopierbar. Auch die sterile Atmosphäre der Multiplexe. Dazu müssen einfach mehrere Chiptüten in einen bestimmt in jedem Haushalt verfügbaren Eimer umgekippt und eine Liter Flasche Cola in ein entsprechend großes Behältnis umgefüllt werden. Die Dolby-Surround-Anlage eines Discounters für 99 Euro dazugeschaltet, die Tür mit Eierpappen (wegen der Lautstärke, die die Nachbarn verärgern könnte) und perfekt ist der Kinoabend. Eine Wolldecke dazu und frei wählbare Rauchpausen machen daraus sogar noch ein heimeliges Erlebnis. Es wäre die späte Rache Konsumentenrache gegenüber der Massenabfertigung der Multiplexe. Schade wäre es bestimmt nicht, vielleicht würden dann wieder angenehmere Ort von Lichtspielkultur entstehen.