Für Kritik hatte auch das Verhalten dreier Oberstaatsanwälte im Zeugenstand gesorgt. Der Generalstaatsanwalt in Hamm bestellte die Staatsanwälte zum Rapport, auch aus dem Justizministerium und dem Landtag war harsche Kritik zu hören. Die Auftritte des Leitenden Oberstaatsanwalts Schulze und seines Stellvertreters Specht strotzten von widersprüchlichen Aussagen und Erinnerungslücken. Die Vernehmung des Zeugen Oberstaatsanwalt Steffen brach der Vorsitzende Richter Dieter Fels gar ab. Konsequenz der Aussagen der Staatsanwälte war der Vorschlag des Gerichts, das Verfahren gegen Geldzahlungen einzustellen.
Der Prozess war in den Medien bislang meist als »Kruse-Prozess« bezeichnet worden. Ab sofort kommt diese Bezeichnung der Wahrheit etwas näher. Bislang ließ sie nämlich außer Acht, dass auf der Anklagebank auch der Geschäftsführer der Drogenberatung, Piet Schuin, der Leiter der ambulanten Einrichtungen, Michael Wiese sowie Wolfgang Rossel als Leiter der niedrigschwelligen Kontakt- und Beratungsstelle an der Wilhelm-Bertelsmann-Straße saßen. Ihnen warf die Bielefelder Staatsanwaltschaft vor, Handel und Konsum von illegalen Drogen auf dem Gelände in der Wilhelm-Bertelsmann-Straße geduldet zu haben.
Den Vorwurf hält Oberstaatsanwalt Rainer Kahnert auch weiterhin aufrecht. In seiner Erklärung am gestrigen Dienstag warf er den Angeklagten gar vor, »für professionelle Dealer einen Raum für ungehinderten Handel« geschaffen zu haben. Außerdem betonte Kahnert, dass der Prozess kein politischer sei, wie in der Öffentlichkeit immer wieder behauptet würde. Die Angeklagten seien auch nicht Opfer einer unzureichenden Rechtslage geworden, so der Oberstaatsanwalt. Die Staatsanwaltschaft könne der Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer erheblichen Geldbuße jedoch zustimmen, weil sich durch das Verfahren, die Drogenpolitik in Bielefeld wieder an gültigem Recht orientiere. »Ein Neuanfang ist gemacht«, versuchte Kahnert das Verfahren als Sieg seiner Behörde darzustellen.
Nach der Erklärung Kahnerts fiel es Piet Schuin sichtlich schwer, nicht auf diese einzugehen. Er verzichtete aber auf eine Replik auf Kahnerts Ausführungen, sondern erläuterte, warum auch er der Einstellung des Verfahrens zustimmt. Schweren Herzens habe er sich zu dieser Entscheidung durchgerungen, um eine weitere unzumutbare Einschränkung seiner Arbeit zu verhindern. Schuin verwies auch auf die enormen Verfahrenskosten, die eine Fortsetzung des Prozesses nach sich gezogen hätte. Außerdem würden durch die Beendigung des Verfahrens auch die Ermittlungen gegen zwölf weitere Mitarbeiter der Drogenberatung eingestellt.
Piet Schuin muss für die Einstellung des Prozesses 5000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung bezahlen. Für Erheiterung sorgte seine Wahl eines Empfängers der Zahlung. Der »Verein Gnadenbrot für ausgemusterte Polizeipferde in NRW« erhält 1000 Euro. Weitere Empfänger sind die Aids-Hilfe Bielefeld und die Straffälligenhelfer vom Kreis 74. Wolfgang Rossels 3500 Euro gehen an das autonome Frauenhaus in Bielefeld.
Auch Michael Wiese fiel es schwer, nicht auf Kahnerts Erklärung einzugehen. »So habe ich sie im Lauf des Verfahrens schätzen gelernt«, ätzte er in Richtung Staatsanwalt. Ansonsten beließ Wiese es dabei Schiller zu zitieren: »Hier wendet sich der Gast mit Grausen«, kommentierte er den Prozess. Wieses Zahlung von 5000 Euro erhält politischen Charakter. 2000 Euro gehen an die UNICEF, Kennwort Irak, die gleiche Summe erhalten die Ärzte ohne Grenzen, 1000 Euro gehen an Medico International. Ob Oberstaatsanwalt Kahnerts Nachfrage, ob es sich dabei um eine Apothekervereinigung handle, witzig sein sollte, bleibt sein Geheimnis.