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Sägen an den Fundamenten (Kommentar; 13.08.2003)



Kommentar von Manfred Horn

Umbau des Sozialstaates? Wer sich die jüngsten Äußerungen von Wolfgang Clement, ehemaliger NRW-Ministerpräsident und heute Wirtschafts- und Arbeitsminister in Berlin, anguckt, bekommt den Eindruck eines Hauses in der Flut: Da werden wesentliche Fundamente weggespült, akute Einsturzgefahr. Was in aller Welt soll daran noch sozialdemokratisch sein? Eine pauschalisierte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose von 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten will der Minister. Wer Jobangebote ablehne, dem sollen in Schritten die Leistungen gekürzt werden: Erst 100 Euro weniger, dann nur noch Lebensmittelgutscheine. Und: Für Clement ist jeder Job zumutbar. Berufsschutz wird es nicht mehr geben. Diese Beschlüsse sind weder demokratisch, wer hat die Arbeitslosen gefragt? Noch sind sie auch nur ansatzweise sozial. Im Gegenteil, sie werden ganze Familien in die Armut und irgendwann in die Kriminalität oder Schuldnerberatung treiben. Die Sozialdemokratie als Erfüllungsgehilfe der Wünsche von Arbeitgeberverbänden: Die Geschichte einer politischen Strömung scheint an einem ebenso finalen wie auch toten Punkt angelangt.

Und dann gelten die, die den Sozialstaat vor weiterer Aushöhlung bewahren wollen, als Modernisierungsverhinderer, als Konservative. Dabei wollen sie nur das bewahren, was nie gerecht, aber zumindest weniger ungerecht war. Sie verneinen eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Doch: Kaum jemand protestiert mit. Es sind kleinere Kreise Intellektueller und Gewerkschaftler, manchmal machen auch noch Jüngere von Attac. Ein insgesamt ein sehr überschaubarer Haufen. Die Massen der Arbeitslosen haben sich offensichtlich in ihr Schicksal, das keines ist, gefügt: Statt ihr Leben in die Hand zu nehmen, fügen sie sich widerspruchslos dem politischen Willen der Bundesregierung. Statt ihr Recht auf eine menschenwürdige Existenz aktiv einzuklagen, glauben sie vielleicht sogar, dies wäre der richtige Weg, weil dann die Wirtschaft irgendwann wieder »anspringen« würde. Aber: Der Kapitalismus ist kein Otto-Motor. Es sind eher die, die materiell besitzen, abgesichert sind, die jetzt protestieren. Eine bittere Wahrheit: Was muss eigentlich noch passieren, damit die Menschen, die bereits in Armut leben oder jetzt dank der wirtschaftspolitischen Linie der Bundesregierung von Armut akut bedroht sind, aufbegehren? Leben wir denn in einem Land voll Schafen?