Guter Schein – schlechtes Sein (15.10.2003)
Seit dem 1. Januar sind bei den Arbeitsämtern Bildungsgutscheine eingeführt worden. Die vom Arbeitsamt finanzierte Weiterbildung wird so neu ausgerichtet. Kleine Weiterbildungsanbieter bleiben allerdings auf der Strecke, in der Praxis herrscht heute große VerwirrungVon Manfred HornSeit dem 1. Januar 2003 sind bei den Arbeitsämtern Bildungsgutscheine eingeführt worden. Die gesamte vom Arbeitsamt finanzierte Weiterbildung sollte damit neu ausgerichtet werden. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers ist es, Wettbewerb und Transparenz am Weiterbildungsmarkt zu stärken sowie die Wahlmöglichkeiten und die Eigenverantwortung der Teilnehmerinnen zu erhöhen. Eine Reaktion auf die Kritik, der Weiterbildungsmarkt sei angebots- statt nachfrageorientiert. Zu wenig sei auf die Wünsche der Arbeitslosen, zu viel auf die bestehenden Angebote der Weiterbildungsträger eingegangen worden.
Das alte System führte an manchen Stellen tatsächlich dazu, dass Zyklen verpasst wurden. So wurden Umschulungen gefördert, obwohl der Markt kaum noch Stellenangebote kannte: Aktuell stehen zum Beispiel viele Mediengestalter, ein Boom-Beruf Ende der 90er Jahre ohne Job da. Das neue System versprach zunächst viel: Der Arbeitslose geht zum Arbeitsamt, holt sich seinen Bildungsgutschein, sucht sich ein Träger und los geht’s. Und natürlich würden die Arbeitslosen vor allem zu den Weiterbildungsanbietern gehen, die qualifiziertesten Angebote machen.
Die neue Regelung trat am 1. Januar 2003 in Kraft – ohne jede Übergangsfrist oder Erprobungsphase. Das bedeutete auch für die Anbieter von Umschulungen und Weiterbildungen eine enorme Umstellung: Praktisch von heute auf morgen hatten sie keine Planungssicherheit mehr. So sprachen Arbeitsamt und Akademie Brüschke in 2002 wie gewohnt die Kursangebote für 2003 ab. Doch am 1. Januar galt das alles nicht mehr: »Im Sommer 2002 gab es die ersten Gerüchte. Am 1. Januar kam dann die große Unsicherheit«, sagt Gitta Brüschke. Die Diplom-Ingenieurin leitet die gleichnamige Fort- und Weiterbildungsakademie. Inzwischen ist klar, dass das neue System der Bildungsgutscheine für das auf EDV-Qualifizierungen spezialisierte Unternehmen massive Konsequenzen hatte: Die Filiale in Detmold musste geschlossen werden, den festen MitarbeiterInnen wurde gekündigt.
Brüschke spricht von einem »totalen Durcheinander«. Erst im April habe sie überhaupt den ersten Bildungsgutschein gesehen. So hatten sich bei der Akademie noch im vergangenen Jahr 40 Arbeitslose um eine Weiterbildung im Bereich ›Desktop-Publishing‹ beworben, der geplante Kurs für 2003 indes ist nie zustandegekommen. »Noch heute rufen einige der Bewerber an und erkundigen sich, ob der Kurs nicht doch noch irgendwann beginnt«, erzählt Gitta Brüschke. Einige hätten inzwischen auch – um überhaupt etwas machen zu können – Umschulungen im allgemeinen Bürobereich begonnen. Anderen sei vom Arbeitsamt angeboten worden, sich doch in Münster im Bereich ›Desktop-Publishing‹ schulen zu lassen.
Der vom Arbeitsamt finanzierte Bereich ist bei der Akademie Brüschke inzwischen komplett weggefallen. Zwar kommen immer mal wieder Leute mit Bildungsgutscheinen zur Akademie, doch bevor ein Kurs sich überhaupt rechnet, müssten 15 potenzielle TeilnehmerInnen mit Bildungsgutscheinen auflaufen. Unwahrscheinlich, da das Arbeitsamt jeweils auch nur eine begrenzte Zahl von Gutscheinen pro Qualifizierungsgebiet ausgibt. Denn auch die Vergütung für die Qualifizierungsmaßnahmen wurden vom Gesetzgeber gesenkt – Kurse mit nur zehn TeilnehmerInnen rechnen sich so für die Akademie nicht mehr. Und selbst wenn die Akademie 15 TeilnehmerInnen zusammenbekommen würde, könnte sie dann nicht einfach zum Arbeitsamt und sagen: Wir haben Teilnehmer, gebt uns das Geld für einen Kurs.