Die Zivilisierung der Neuen Weltordnung (Teil 4)
Dieses wird besonders deutlich, wenn man den Wortlaut mit dem der bekannten Resolution 678 (1990) des Sicherheitsrats vom November 1990 vergleicht, mit der er die Ermächtigung zu militärischen Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 UN-Charta gegeben hat. In ihr heißt es: »Der Sicherheitsrat....., tätig werdend nach Kapitel VII der UN-Charta, .... ermächtigt die Mitgliedstaaten ..... für den Fall, dass der Irak die oben genannten Resolutionen bis zum 15. Januar 1991 nicht entsprechend Ziffer 1 vollständig durchführt, alle erforderlichen Mittel einzusetzen, um der Resolution 660 (1990) und allen dazu später verabschiedeten Resolutionen Geltung zu verschaffen und sie durchzuführen und den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in dem Gebiet wiederherzustellen«. Eine derart schwerwiegende Entscheidung wie die Ermächtigung zu einem militärischen Angriff bedarf einer deutlichen und unmissverständlichen Erklärung. Beide Resolutionen sind hingegen unmissverständlich nicht als Ermächtigung zu werten.
Die Bundesregierung stützt ihre Meinung auch auf die Presseerklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats, Richard Ryan (Irland), mit der er zu der Unterrichtung durch die USA und Großbritannien über den Beginn ihrer Bombardierungen am 4. Oktober Stellung nahm (Press Release AFG/152 SC/7167). Diese Erklärung ist auch in der Öffentlichkeit immer wieder als ein Zeichen der Zustimmung und der nachträglichen Ermächtigung gewertet worden. Der Wortlaut der Erklärung gibt eine solche Interpretation allerdings nicht her. Alle Bemühungen, ein Protokoll über die Sitzung oder einige Stimmen von Mitgliedern über den Verlauf der Sitzung zu erhalten, um die Ansichten und Positionen genauer bestimmen zu können, sind bisher fehl geschlagen. Die Öffentlichkeit ist allein auf den Inhalt der Presseerklärung verwiesen.
Sie gibt zunächst Auskunft darüber, dass die Sitzung auf Bitten der USA und Großbritanniens im Beisein des UN-Generalsekretärs zustande gekommen ist, um den Sicherheitsrat über die ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten. Sodann berichtet sie darüber, dass sich der Sicherheitsrat noch einmal zu seinen beiden Resolutionen und deren Umsetzung bekannt hat. Er nahm sodann Kenntnis von den Briefen, die die USA und Großbritannien an den Sicherheitsrat gesandt hatten und in denen sie sich auf ihr individuelles und kollektives Selbstverteidigungsrecht gegen die Terroranschläge beriefen. Dies wiederholten sie noch einmal in der Sitzung und unterstrichen, dass sie alles unternähmen, um Zivilisten bei ihren Angriffen zu schützen. Wörtlich heißt es dann: »The members of the Council were appreciative of the presentation made by the United States and the United Kingdom«.
»Appreciative« bedeutet keine Anerkennung des Krieges, sondern die anerkennende aber unverbindliche Zurkenntnisnahme der Darstellung, zu der jeder Staat, der sich auf Art. 51 stützt, verpflichtet ist. Das wird besonders deutlich in der französischen Fassung der Presseerklärung: »Les membres du Conseil se sont félicités de lexposé fait par les Etats Unies et le Royaume Uni«. Die im diplomatischen Verkehr übliche Floskel des « sich beglückwünschen » bezieht sich nur auf die Abgabe des Berichts (exposé), nicht aber den Inhalt der Botschaft. Beruft sich ein Staat auf Art. 51, so ist es nach der UN-Charta nicht Sache des Sicherheitsrats, dazu Stellung zu nehmen und über die Berechtigung der Selbstverteidigung zu urteilen. Denn das Selbstverteidigungsrecht hängt nicht von einem Entscheid des Sicherheitsrats ab. Der Sicherheitsrat hat sich offensichtlich weder für eine ausdrückliche Zustimmung zum Kriegsgeschehen, was einem Verzicht auf weitere eigene Aktivitäten gleichkäme, noch für eine Verurteilung der Bombardierungen entschieden, was ihm politisch kaum möglich war. Er hat sich mangels anderer Alternativen dem Gang der Dinge gebeugt und eine möglichst unverfängliche, alle Interpretationen offenlassende Erklärung gewählt.