Völkerrecht wie weiter?
In ihrem Buch »Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen« skizzieren die Völkerrechtler Gerhard Stuby und Norman Paech den Stand der Dinge. Sie schreiben, es gebe eine »offensichtliche Diskrepanz« zwischen der Entwicklung des Völkerrechts in den letzten 45 Jahren und dem friedlosen Zustand der internationalen Beziehungen. Dieses werde gemeinhin mit dem fehlenden Sanktionspotenzial des Völkerrechts begründet.
Dem widersprechen Stuby und Paech deutlich: Der Haken des Völkerrechts sei, dass es den Interessen der Großmächte vorauseile und sich damit von der Realität abkopple. Dieses belegen sie historisch: Analog sei es bei der Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung gewesen. Bereits in der französischen Revolution wurde es formuliert, doch es brauchte 150 Jahre, um unter der UNO zu zwingendem Recht zu werden. Aktuell zeigt sich ganz offen der Widerstand der US-Regierung, den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuerkennen. Sie drohten sogar, US-Bürger, die dort festgehalten würden, zu befreien.
Gerade die USA drängen zur Zeit auf eine Reform des Völkerrechts: Das Gewaltverbot soll aufgeweicht werden, das Veto-Recht im Sicherheitsrat gekippt werden. Anhand eines Vorschlagkatalogs des ehemaligen UN-Generalsekretärs Boutros-Ghali zeigen Stuby und Paech aber, dass das Völkerrecht bereits Instrumentarien biete, den Frieden friedlich zu sichern. Nur werden die Möglichkeiten zur vorbeugenden Diplomatie, Vermittlung und Stärkung von Demokratie gar nicht ernsthaft genutzt.
Schließlich sagen Stuby und Paech, das »Völkerrecht als Kooperationsrecht gleichberechtigter Subjekte und als konsensgebundene Rechtsordnung einer demokratisch gestalteten und nicht hegemonial dominierten Staaten- und Konfliktordnung wird stets eine unsichere Zukunft haben«. Das Recht sei nicht unabhängig davon zu sehen, ob es gelinge, Gewalt- und Herrschaftsstrukturen in den internationalen Beziehungen zu nivellieren. Es habe keinen Sinn, das gegenwärtige Demokratiedefizit in den internationalen Beziehungen durch universalistische Vorstellungen von Weltökonomie, Weltstaat oder mit Forderungen nach Überwindung der staatlichen Souveränität hinweginterpretieren zu wollen. Die »nach wie vor tiefe Spaltung der Weltgesellschaft in Nord und Süd, Zentrum und Peripherie ist auch nach Auflösung des Ost-West-Antagonismus und der Differenzierung unter den Staaten, die als Dritte Welt bezeichnet werden, der Grundtatbestand der internationalen Beziehungen und es Völkerrechts«.
Norman Paech und Gerhard Stuby: Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Ein empfehlenswertes Buch, erschienen im vsa-Verlag, Hamburg 2001 (ISBN: 3-87975-759-3).