Dokumentation Über den Irakkrieg hinaus: Nicht nur "Anti"-, sondern auch "Pro"-Bewegung Teil 3Die Zukunft der Friedensbewegung Teil 3
Geht es nach dem Willen der Regierungen der führenden europäischen Staaten, so soll als Konsequenz aus dem transatlantischen Konflikt um den Irakkrieg nun der europäische Pfeiler "gestärkt" werden. Hierzu soll die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterentwickelt werden zu einer Europäischen "Verteidigungsunion." Der militärischen Supermacht USA ist nicht dadurch beizukommen, dass man selbst versucht, auf demselben Gebiet "gleichzuziehen". Die Friedensbewegung sähe darin eine grundverkehrte Weichenstellung. Europa braucht keine weiteren Eingreif- und Interventionstruppen; Europa braucht viel mehr politische Initiativen zur zivilen Konfliktprävention. Die Friedensbewegung muss ihre Europa-Abstinenz überwinden und sich stärker in den Prozess der europäischen Einigung und Erweiterung einmischen (Konvent, EU-Gipfeltreffen).
Viel stärker ins Blickfeld der Friedensbewegung muss auch die Forcierung des Umbaus der Bundeswehr zu einer Angriffsarmee gerückt werden. Verteidigungsminister Struck will noch im Frühjahr die Verteidigungspolitischen Richtlinien aus dem Jahr 1992 überarbeiten. Die "11 Kriterien", die er hierzu im Februar vorgelegt hat, geben die - höchst gefährliche - Richtung vor. Die Kriterien 5 und 6 lauten: (5) "Für die Bundeswehr stehen Einsätze der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern auch über das Bündnisgebiet hinaus im Vordergrund". (6) "Die ausschließlich für die Landesverteidigung vorgehaltenen Fähigkeiten werden in aktiven Strukturen nicht länger benötigt." Fazit: Verteidigung ist out - Angriff in! Die Friedensbewegung sollte aktuell in die Diskussion um die Novellierung der VPR einsteigen und dabei insbesondere auch die Verfassungswidrigkeit der Bundeswehrplanung betonen. (23. Mai ist "Verfassungstag"!)
Schließlich sollten die vorhandenen Teileinsichten der Bevölkerung in globale ökonomische und ökologische Zusammenhänge genutzt werden, um praktikable Alternativen zum verschwenderischen und zerstörerischen Kapitalismus zu diskutieren. Gemeinsame Diskussionsforen mit Attac-Gruppen und mit anderen globalisierungskritischen sozialen und politischen Bewegungen könnten für die Friedensbewegung eine außerordentliche Bereicherung darstellen. G-8-Gipfel (z.B. Evian im Sommer), das Europäische Sozialforum sowie das Weltsozialforum sind "Termine", die auch für die Friedensbewegung relevant werden.
(9) Sollte es demnächst zu einem militärischen Ende des Irakkriegs kommen, dann darf die Friedensbewegung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Bundesregierung stellt bereits die Fallen auf, in welche die Friedensbewegung tappen soll: Nach dem Ende des Krieges müsse den Menschen geholfen werden, heißt es, und man müsse "nach vorne" blicken. Auf diese Weise soll die gründliche Aufarbeitung des Krieges verhindert und die kritische Öffentlichkeit von den relevanten weltpolitischen Implikationen der US-Aggression abgelenkt werden. Die Forderungen der Friedensbewegung richten sich demgegenüber auf die Wiedereinsetzung der Vereinten Nationen in die ihr nach der UN-Charta zustehenden Rechte. Eine politische Verurteilung des Krieges durch den UN-Sicherheitsrat bzw. durch die UN-Generalversammlung ist unbedingt erforderlich, weil der Krieg sonst nachträglich legitimiert würde. Die Aggressoren müssen juristisch verfolgt werden und Reparationen an den zerstörten Irak bezahlen. Eine von den Siegern dominierte Nachkriegsordnung ist abzulehnen. Da gegenwärtig nicht damit zu rechnen ist, dass die UN-Institutionen einschließlich der UN-Gerichte ihrer Aufgabe gerecht werden, sollte die Friedensbewegung ersatzweise über die Aggressoren zu Gericht sitzen (z.B. nach dem Vorbild des NATO-"Tribunals").
AG Friedensforschung an der Universität Kassel, Peter Strutynski, Nora-Platiel-Str. 5, 34109 Kassel, eMail: strutype@uni-kassel.de
Originaldokument:
www.uni-kassel.de/fb10/frieden/bewegung/aufgaben.html