Von Harald Manninga»Auberge espagnole« ist französisch und heißt »spanische Herberge«, und in spanischen Herbergen, so habe André Maurois mal gesagt, findet man nichts vor, was man nicht selber mitgebracht hat. Das erfährt man zwischendurch in diesem Film, als Hauptperson Xavier was in seinem Wörterbuch nachschlägt, das steht da nämlich drin, und irgendwie ist das tatsächlich das Thema des Films, obwohl alles erstmal ganz anders aussieht.
Xavier ist 24, studiert in Paris WiWi und weiß nicht so recht, wo das alles enden soll. Mutter nervt mit ihrem Öko-Tick und nichtendenwollendem dummem Gequatsche, Freundin zickt rum, er will eigentlich was ganz anderes machen, aber traut sich nicht. Da verschafft ihm sein Vater über einen seiner alten Studienkollegen einen Job beim Finanzministerium. Bedingung ist aber, außer abgeschlossenem Studium, daß Xavier der spanischen Sprache mächtig ist. Also bewirbt er sich um ein Stipendium im gesamteuropäischen »Erasmus«-Programm, wühlt sich durch meterweise Antragspapier und bekommt dann auch ein Jahr Studium in Barcelona gesponsort.
Nach kleineren Umwegen bei der Wohnungssuche findet er Aufnahme in einer europäisch-multinationalen Studenten-WG. Und damit geht der wirkliche Film dann auch endlich los.
Ausgesprochen amüsant ist das, was dem Zuschauer da geboten wird. Das liegt zunächst an der zu erwartenden Sprachverwirrung zwischen den sieben liebenswerten Chaoten, die in dieser Wohnung zusammenleben: Gemeinsame Sprache ist vor allem Englisch, das aber niemand wirklich beherrscht, bis auf die Britin Wendy natürlich, und wenn ein Satz auf Englisch anfängt und dann auf Deutsch, Spanisch oder Französisch beendet wird, das hat schon was. Im übrigen gehts aber vor allem darum, möglichst viel Spaß zu haben. Studieren sieht man eigentlich selten mal jemanden, sie sind alle viel zu beschäftigt damit zu kiffen, den Haushalt zu schmeißen, sich den Hauswirt vom Hals zu halten oder auch ihr Liebesleben halbwegs in den Griff zu bekommen. Eine stinknormale Studi-WG also, bis auf die Tatsache, daß alle Bewohner aus verschiedenen Ländern kommen, was aber nicht groß auffällt, außer vielleicht bei den Sprachschwierigkeiten, aber die fallen irgendwann auch kaum noch auf.
So ist »L'Auberge espagnole« denn auch keine verdeckt politisierende Darstellung irgendeines gesamteuropäischen Mikrokosmos, wie man vielleicht befürchten könnte, quasi als Miniausgabe des »Europäischen Hauses«, sondern eine ganz entspannte Komödie übers Erwachsenwerden. Schon das allein ist irgendwie komisch, denn mit Mitte zwanzig hat man ja nach landläufiger Meinung schon längst erwachsen zu sein. Aber wer wie Xavier immer nur unter Muttis Fuchtel gelebt hat, wird eben möglicherweise dann doch ein anderer Mensch als der, der er vorher zu sein schien, wenn er für ein Jahr allein ins Ferienlager darf. Xavier jedenfalls kommt unverklemmter, selbstbewußter und freier aus Barcelona zurück als er hingefahren ist, so selbstbewußt, daß er den sicheren Job ausschlägt und sich seinen Kindheitstraum erfüllt: Er wird Schriftsteller.
Ja: Dieses Ende ist vielleicht ein bißchen platt. Ja: Gewisse Absehbarkeiten lappen hie und da ins Langweilige, und große Überraschungen gibt es auch nicht viele, nicht einmal technische (wenn man vielleicht vom gelegentlichen Wechsel zwischen Dokumentar- und Erzählstil absieht, der zu dem Film aber sehr gut paßt). Genaugenommen gibt es außerdem keine richtige Story, so mit Spannungsbogen und allem, aber was da an Szenen und Situationen zusammenkommt, das ergibt trotzdem ein ziemlich geschlossenes und sehr witziges Bild von der Entwicklung eines jungen Mannes zu einer echten, intergren Persönlichkeit. Und das ist eine ganze Menge.