Samira Bellil: »Durch die Hölle der Gewalt« (Teil 2)
Erst zehn Jahre später beginnt sie eine Psychotherapie. Mit Unterstützung eines Anwaltes gelingt es Samira Bellil ihre Geschichte, ihre Vergewaltigungen trotz Verjährung vor Gericht zu bringen. Sie gewinnt den Prozess und ist zumindest juristisch rehabiliert. Doch das reicht nicht. Während der Therapie beschließt sie, ihre Geschichte aufzuschreiben. »Meine Befreiung ist ein Buch«, aber sicherlich auch ein ermutigendes Beispiel für andere, die Ähnliches erleben mussten.
Und davon gibt es einige: Samira Bellils Erfahrungen sind typisch, fast alltäglich für gleichaltrige junge Frauen aus den französischen Vorstädten, die in Immigrantensiedlungen aufwachsen. Sie leben in einer modernen Gesellschaft, in der unterschiedliche Identitäten, Tradition und Moderne aufeinanderprallen. Für junge Frauen gibt es nur zwei Rollenmodelle: die aufopferungsvolle Tochter und Schwester, die nur für die Familie sorgt, nie allein ausgeht, gehorcht oder das wilde Mädchen von der Strasse, das raucht, tanzt, frei sein will und nicht darf, Heilige oder Hure, ein nicht unbekanntes Schema.
Samiras Bericht blieb in Frankreich nicht ohne Folgen. Mittlerweile existiert eine Bewegung »ni putes, ni soumises« (weder Hure noch Unterdrückte), der sich immer mehr junge Frauen anschließen. Sie haben den Mut, öffentlich auf ihre Situation aufmerksam zu machen, die männliche Arroganz und Gewalt anzuklagen und eigene Rechte einzufordern. Sicherlich kein einfaches Vorhaben, denn nicht nur die Männer und Brüder maßen sich an, sie zu verurteilen oder zu missbrauchen. Auch die Mütter oder Schwestern stehen nicht automatisch aufgrund derselben Erfahrungen auf ihrer Seite. Viele haben das Gewohnte verinnerlicht und wollen erst mal nichts anderes. Dazu kommt noch, sollte eine Anzeige oder gar ein Prozess wegen Vergewaltigung erfolgen, werden auch die Angehörigen des Opfer von Freunden der Täter bedroht oder angegriffen. Die Täter werden geschützt, müssen keine Konsequenz befürchten.
Samira Bellil zeigt mit ihrem mutigem Buch, dass die Tabuisierung der Vergewaltigungen für die Betroffenen keine Lösung bietet. Mit ihrer Rebellion hat sie es geschafft, den Status des Opfers zu durchbrechen und für sich neue und positive Perspektiven zu erstreiten. Das ist mehr als ermutigend und beispielhaft für viele in ähnlicher Lage.(rk)
Samira Bellil, Durch die Hölle der Gewalt, 320 S., Pendo Verlag, 2003, 19,90 Eurobuch_eulenspiegel@gmx.de per Mail bestellen]